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Ein Fall zu viel

Ein Fall zu viel

Titel: Ein Fall zu viel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Scharenberg
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auch eine Art Diwan, so genau kannte er sich damit nicht aus. Zumindest hatte er sich noch niemals auf einem derartigen Möbelstück niedergelassen.
    »Möchten Sie einen Tee?«, fragte Eva-Magdalena Yildiz zu seinem Erstaunen. Weshalb wollte sie nicht auf der Stelle wissen, warum er zu ihr gekommen war? Oder praktizierte sie nur eine Form der Höflichkeit, die er in dieser Situation nicht verstehen konnte?
    »Nein, danke«, erwiderte er. »Vielleicht später, zuerst muss ich Ihnen eine traurige Nachricht überbringen.« Pielkötter holte noch einmal Luft, als ob er in den nächsten Minuten nicht mehr zum Atmen kommen würde. »Ihr Vater Erwin Lützow ist tot. Er ist von der Plattform des Hochofens im Landschaftspark gestürzt. Mein Beileid.«
    Eva-Magdalena Yildiz’ Miene drückte weder Erstaunen noch Ungläubigkeit oder gar Trauer aus. Hatte sie seine Worte nicht verstanden? Handelte es sich hier wieder um dieses Phänomen, dass ein Mensch die Bedeutung einer Nachricht erst mit einer gewissen Verzögerung erfasste, so wie der Schmerz bei einer körperlichen Verletzung ja auch nicht sofort einsetzte? Sie stand ihm immer noch gegenüber, durch einen niedrigen Tisch von ihm getrennt und rührte sich nicht. Nur das rechte Augenlid zuckte.
    »Frau Yildiz, haben Sie mich verstanden?«
    »Ja, ja, doch«, erwiderte sie schließlich und löste sich aus der Erstarrung. »Aber bitte erwarten Sie jetzt nicht von mir, dass ich in Tränen ausbreche. Ich habe meinen Vater seit rund zehn Jahren nicht mehr gesehen.«
    »Welchen Grund gab es für die Funkstille zwischen Ihnen?«, fragte Pielkötter, während sie einen Stuhl zu seiner Linken ansteuerte.
    »Das ist schnell zusammengefasst«, erwiderte sie mit einer gewissen Verachtung in der Stimme. »Ahmet.«
    Ja, dachte Pielkötter, da hatte wieder einmal ein Kind die Erwartungen der Eltern nicht erfüllt. Automatisch wurde ihm bewusst, wie sehr er selbst anfangs mit der Homosexualität seines Sohnes zu kämpfen gehabt hatte. Und nun saß Jan Hendrik mit seinem Freund in schöner Regelmäßigkeit bei ihm zu Hause, wie gestern, nur hatte er leider nicht bis zum Schluss bei ihnen bleiben können. Schade um den verpatzten Abend, vor allem aber um Erwin Lützow. Der würde keine Gelegenheit mehr bekommen, seine Meinung zu revidieren und sich mit seiner Tochter auszusöhnen. Zumindest nicht in diesem Leben.
    »Anfangs habe ich sehr unter der Missachtung meines Vaters gelitten«, platzte sie in seine Gedanken. »Besonders, weil ich als Kind ein besonders gutes Verhältnis zu ihm gehabt habe. Aber man gewöhnt sich an die Situation. Nur traurig, dass meine Mutter so früh sterben musste. Sie hätte ganz sicher anders reagiert und einen positiven Einfluss auf ihn gehabt.«
    »Ich nehme an, Sie haben es nicht bereut, Ihren Mann geheiratet zu haben.«
    Ihre blaugrünen Augen schienen den Anflug eines Lächelns widerzuspiegeln, doch ihre Lippen bewegten sich nicht. »Selbstverständlich haben auch wir unsere Probleme«, entgegnete sie. »Aber das gilt ja wohl für jedes Paar. Jedenfalls glaube ich nicht, dass ich mit einem deutschen Partner glücklicher geworden wäre als mit Ahmet.«
    »Hat Ihr Vater ihn persönlich kennengelernt?«, fragte Pielkötter aus Neugierde. Für den vorliegenden Fall hatte das wahrscheinlich keine Relevanz, obwohl man so etwas im Voraus nie sagen konnte.
    »Ein einziges Mal«, spie sie die Antwort aus. »Was habe ich auf beiden Seiten um dieses Treffen gekämpft. Dabei hätte ich es wirklich besser wissen müssen. Türkenflittchen hat mein Vater mich genannt. Du Hure, schminkst dich wieder für deinen Muselmann , so etwas in der Art habe ich mir öfter anhören müssen.«
    Dabei starrten ihre Augen auf den Tisch, als läse sie die Worte aus der Maserung ab. »Zudem ist Ahmet ein sehr stolzer Mann. Dass er sich die Seitenhiebe meines Vaters bei unserem Treffen nicht gefallen lassen würde, hätte mir wirklich klar sein müssen. Aber damals war ich einfach zu jung und vor allem viel zu naiv. Als dann die Kinder kamen, habe ich noch einmal einen Versuch gestartet, mit meinem Vater in Kontakt zu treten. Ich habe ihm die Geburtsanzeigen geschickt. Sowohl bei Mehmet als auch bei Anna.«
    Sie seufzte laut und strich sich eine Strähne ihres schulterlangen, dunkelblonden Haares in den Nacken. »Unsere Tochter habe ich extra nach seiner Mutter benannt. Okay, der Name gefällt mir. Ist inzwischen ja wieder modern. Meine Oma habe ich natürlich auch gemocht, aber in erster

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