Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Schulz-Kampfhenkel nachgegeben, denn auch der setzte sich für die Freundschaft der Jungen ein, aber der alte Hansen nahm lieber eine Stelle in Hamburg an, seiner Geburtsstadt. Für die Freunde bedeutete das die endgültige Trennung – wobei Otto seinem Kumpel Heinrich versicherte, ihm ewig dankbar zu sein. Schon damals fasste Hansen den Vorsatz, diese Schuld eines Tages einzufordern.
Es sollte viele Jahre dauern, bis es so weit war. Die beiden Freunde hatten seit langem den Kontakt zueinander verloren. Einige Monate nach Hitlers Triumph aber fiel Hansen ein Buch in die Hände. »Das Dschungel rief« lautete der Titel, und Hansen hätte es sofort wieder weggelegt, hätte ihn nicht der Name des Autors förmlich angesprungen: Otto Schulz-Kampfhenkel. Es war, versicherte ihm der Buchhändler, ein ordentlicher Erfolg, aber Hansen brauchte nicht mehr überzeugt zu werden. Wieder daheim, quälte sich der ungeübte Leser durch die für seinen Geschmack arg pathetisch geratenen Zeilen. Sein alter Freund Otto hatte nichts von seiner Überheblichkeit verloren, eher eine Schippe draufgesattelt. Das Buch war eine Art exotischer Reisebericht, es schilderte Schulz-Kampfhenkels Expedition durch Liberia, wo er Tiere für den Berliner Zoo einfing. Otto hatte sich also nicht geändert, dachte Hansen, nur seine Streifzüge durch die Wälder von Buckow bis nach Afrika ausgedehnt. Zu dem Zeitpunkt bereute er es nicht mehr, den Freund aus den Augen verloren zu haben. Für Hansen war es ein unvorstellbarer Gedanke, durch einen afrikanischen Busch zu stapfen, ständig in der Gefahr, von Raubtieren oder Kannibalen zerfleischt zu werden. Er legte das Buch beiseite und dachte nur noch selten an Schulz-Kampfhenkel.
Aber die Zeiten änderten sich. Ein gutes Jahr später, als die unglückliche Sache mit Müller passiert war, suchte Hansennach einer Möglichkeit, Deutschland für eine Weile zu verlassen. Zufällig fiel sein Blick auf Schulz-Kampfhenkels Buch, und er dachte, die Sache sei einen Versuch wert. Es war ein Schuss ins Blaue, doch Hansen hatte Glück. Er erkundigte sich bei alten Schulkameraden, ob diese etwas über Schulz-Kampfhenkels Pläne wüssten. Hansen erfuhr, dass sein alter Kumpel eine neuerliche Expedition vorbereitete, etwas Großes, hieß es, doch niemand kannte Einzelheiten. Hansen fasste sich ein Herz und bot Schulz-Kampfhenkel am Telefon seine Dienste an, egal wohin die Reise gehe. Sein alter Kompagnon zögerte zunächst, war unschlüssig ob dieser unerwarteten wie unliebsamen Begegnung mit der Vergangenheit, aber Hansen blieb hartnäckig. Er erzählte, wie sich seine Schießkünste verbessert hätten in den vergangenen Jahren und dass er in bester körperlicher Verfassung sei, ideal für eine Expedition in unwegsames Gelände und perfekt geeignet, um Schulz-Kampfhenkel vor den mannigfaltigen Gefahren, die dort unbestritten drohten, bestens zu beschützen. Kurzum: Hansen erinnerte seinen Gefährten aus Kindertagen an das Blut, das er für ihn vergossen hatte, und forderte dessen Dankbarkeit ein. Schulz-Kampfhenkel biss die Zähne zusammen und sagte zu.
Hoch über dem brasilianischen Urwald schüttelte Hansen den Kopf über sich selbst. Wie naiv er damals gewesen war. Er hatte Schulz-Kampfhenkel nicht einmal danach gefragt, wohin die Reise denn führen solle. Irgendwie war er immer von Afrika ausgegangen. Als ihm Otto bei ihrem ersten Treffen nach mehr als zehn Jahren eröffnete, dass ihr Reiseziel der Amazonas sei, blieb Hansen der Mund offen stehen. Afrika war ja schon schlimm genug, jedoch zum Glück größtenteils kolonialisiert und die meisten Wilden den Weißen ergeben zu Diensten. Aber von Amazonien wusste er so gut wie nichts. Nur dass der Dschungel dort größer war als Europa und bevölkert von bösartigen Pygmäen, die Eindringlinge am liebstenmit Giftpfeilen erlegten. Hansen erinnerte sich an Geschichten über einen Amerikaner namens Fawcett, der in den Zwanzigern mit seinem Sohn dort verschollen war – genauso wie mehrere Mannschaften, die seither nach ihm gesucht hatten. Eine Reise an den Amazonas war ein Himmelfahrtskommando.
»Na, Heinrich, jetzt machst du wohl doch einen Rückzieher«, hatte Schulz-Kampfhenkel amüsiert frohlockt.
Der spöttische Blick seines alten Schulfreundes war Hansen allein Grund genug, ihm keinerlei Genugtuung zu verschaffen. Außerdem waren alle Argumente gegen das Reiseziel rein hypothetisch. Eine bessere Gelegenheit, aus Deutschland zu verschwinden, würde er so leicht
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