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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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sah er zu, wie sein ehemaliger Schulfreund und jetziger Expeditionsleiter im schwindenden Licht davonpaddelte. Als er wieder aufstand, fiel sein Blick auf das schwarze Hakenkreuz, das vorhin noch mutig den Himmel durchschnitten hatte, jetzt aber traurig auf den Abtransport wartete. Vielleicht, sinnierte Hansen, stand ihre Reise doch unter einem schlechteren Stern, als er gedacht hatte.

2.
B ERLIN
    13. September 1939
Wohnung der Weinbergs
    Jeder Atemzug schnitt in Krauss’ Lunge wie ein schrundiger Eiszapfen. Trotzdem rannte er weiter. Er wusste, dass sie ihn nicht einholen durften. Das wäre sein Ende. Krauss hörte die Stimmen hinter sich, verhaltene Rufe, die immer näher kamen. Ein paarmal war er auf dem hartgefrorenen Boden gestolpert, hatte wertvolle Zeit verloren. So würde er es nie schaffen, seine Verfolger abzuschütteln. Er kämpfte gegen seine Müdigkeit an, gegen die Schmerzen in seiner Brust, in seinen Beinen. Weil sein Bruder niemals aufgeben würde. Edgar jagte ihn wie ein angeschossenes Wild, unerbittlich, unbeirrt, wenn es sein musste, bis ans Ende der Welt. Krauss zwang seine Beine, ihm zu gehorchen, zwang sie, diesen nicht enden wollenden Acker zu überqueren, ihn endlich in den Schutz des Waldes zu bringen. Doch so schnell er auch lief, die Bäume rückten nicht näher. Dafür wurden die Stimmen hinter ihm lauter. Krauss blickte nicht zurück, nur nach vorn. Er spürte, wie Angst ihm die Kehle abschnürte. Der Acker, der Himmel, der Wald, die Schreie, all das erzeugte einen Sog, der ihn schwindeln ließ. Er stürzte, fiel auf die trockene Krume. Krauss hörte, wie Edgar hinter ihm lauthals triumphierte. Edgar. Sein Bruder. Hannas Mörder. Krauss war zu schwach, sich ihm entgegenzustellen. Diesem abgrundtiefen Hass, dieser Wut, diesem unstillbaren Durst auf Blut.
    Plötzlich war Edgar über ihm, presste Krauss mit dem Gesicht in den Dreck. »Hab ich dich, du Schwein!«, brüllte sein Bruder und drückte ihm das Knie in den Nacken. Krauss hattenicht die Kraft, um sich zu befreien. Nun war auch der Rest seiner gesichtslosen Verfolger angekommen, zerrte an ihm, schlug auf ihn ein, den Rücken, die Arme, die Beine. Schmerz-und Panikwellen liefen durch seinen Körper. Das hier würde er nicht überleben. Eine Stimme tief in ihm sagte, dass er es verdient habe. Dass er keinen Deut besser war als seine Jäger, ein Mörder und Menschenschinder war wie sie, dass er hier und jetzt seine Bestimmung finde.
    Edgar riss den Kopf seines Bruders hoch und spuckte ihm ins Gesicht. »Du hast das deutsche Volk entehrt und deine Familie dazu. Du bist es nicht wert, unter uns zu leben«, geiferte er. Krauss wollte etwas erwidern, aber Edgar schlug ihm mit dem Handrücken hart auf die Lippen. Ein metallischer Geschmack breitete sich in Krauss’ Mund aus. Die Männer zerrten ihn hoch. Krauss erkannte jetzt vertraute Gesichter, Bensler und Grünberg waren darunter. Er erinnerte sich an sie, aber in einem anderen Zusammenhang. Etwas war falsch.
    Alle starrten ihn giftig an, drehten seinen Kopf so, dass er sehen konnte, was auf ihn wartete. Krauss traute seinen Augen nicht. Sie hatten ein Grab ausgehoben, in dem steinharten Boden, in Windeseile. Während er sich fragte, wie das denn sein konnte, stießen sie ihn schon hinein in das tiefe Loch. Er lag auf dem Rücken, unfähig, sich zu rühren, neben sich aufragend Wände aus winterhartem Lehm, über sich der graue Himmel, der eisige Tränen in sein Grab schickte. Edgar und die anderen Männer blickten vom Rand der Grube verächtlich auf ihn herunter. Sie hielten Schaufeln in ihren Händen.
    »Deine Zeit ist vorbei«, sagte Edgar, »nun musst du bezahlen für deine Taten. Für den Mord an deinem Blut.«
    Während Edgars Worte langsam in Krauss’ Verstand sickerten, schaufelten die Männer frische Erde auf ihn. Sie lachten. Krauss wollte protestieren, da traf ihn ein Schwall mitten ins Gesicht. Er schrie. Wieder prasselte matschiger Lehm auf ihnherab, bedeckte seinen Körper, seinen Kopf. Krauss bekam kaum noch Luft, öffnete den Mund, um zu atmen, schluckte aber nur schwarze, kalte Erde …
    Krauss öffnete die Augen. Er keuchte. Seine Zunge war ein trockener, geschwollener Lappen. Sein Kopf glühte, sein Körper zitterte vor Kälte. Alle Glieder schmerzten. Es schien Krauss, als liege eine tonnenschwere Last auf ihnen, so mühsam war es, sie zu bewegen. War das die Hölle, ein willenloses Vegetieren in einer Zwischenwelt? Er versuchte sich zu orientieren, den Nebel in

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