Ein Freund aus alten Tagen
Stiernspetz lehnte sein Angebot ab, sie zur U-Bahn zu begleiten. »Ich bin zwar ein altes Monstrum, aber trotz allem noch ganz gut zu Fuß.«
Sie küsste ihn auf beide Wangen und klopfte ihm zärtlich auf die Schulter. »Sie haben getan, was Sie konnten, Tobias Meijtens.«
Als er sein Fahrrad aufschloss, fiel ihm plötzlich ein, welche Erkenntnis in seinem Hinterkopf gekeimt hatte. Er lief ihr hinterher und rief ihren Namen. Sie drehte sich auf der Stelle um, als hätte sie geahnt, dass er zu ihr kommen würde, ob nun jetzt oder später. Mit einem freundlichen, aber bestimmten Lächeln bremste sie ihn, noch ehe er etwas sagen konnte.
»Es reicht, mein Freund, Sie haben genug getan. Lassen Sie die Dinge auf sich beruhen. Manchmal ist es besser so.«
Anschließend wandte sie sich wieder um, und Meijtens sah ihr nach, als sie mit rheumatischen, aber festen Schritten zur U-Bahn-Haltestelle ging.
42 Meijtens trug ihren Kaffee zu einem Tisch im Freien. Natalie hüllte sich in eine Decke und rückte näher an den Heizstrahler heran. Sie blickte zum Wasser der Nybroviken hinab und hielt die Tasse zwischen ihren Händen. Der Verkehr rauschte vorbei, und gestresste Menschen auf Einkaufstour eilten auf dem Bürgersteig vorbei. Keiner beachtete die beiden Cafégäste, die als Einzige der Kälte trotzten.
Natalie hatte sich weder bei ihr noch bei ihm zu Hause treffen wollen. Meijtens ahnte den Grund. Außerdem konnten sie wahrscheinlich keinen besseren Ort finden, um sich ungestört zu unterhalten.
Sie hatten sich ein paar Tage nicht gesehen, aber keiner sagte besonders viel. Natalie wirkte unausgeschlafen. Die Zeitungen hatten eine Reihe von Artikeln über den Mord an Laurén gebracht und ihn als Wahnsinnstat irgendeiner Gang eingestuft. Ein paar betrunkene Jugendliche, die einen einsamen Jogger mit einem Eisenrohr erschlagen hatten, ohne zu wissen, dass es sich bei ihm um einen Mann mit Macht und Einfluss handelte. Natalie bemerkte, dass man, wenn man in einem vornehmen Wohnviertel auf der Reicheninsel Lidingö einen Jogger mittleren Alters erschlug, im Grunde schon damit rechnen müsse, eine wichtige Persönlichkeit zu erwischen.
»Rydman wird für die nächste Ausgabe höchstpersönlich einen groß aufgemachten Nachruf schreiben«, erzählte sie. »Er hat regelrechte Begräbnisstimmung verordnet, obwohl praktisch niemand von uns Laurén gekannt hat.« Sie blinzelte Meijtens an. »Du bist übrigens im Moment nicht gerade der Liebling der Saison. Rydman hat mich ziemlich scharf gefragt, ob ich immer noch mit dir zusammenarbeiten würde.«
»Was hast du geantwortet?«
»Nichts.«
Natalie setzte eine Sonnenbrille auf und wandte ihr Gesicht den letzten, herbstlichen Sonnenstrahlen zu.
Nach der Nachricht von Lauréns Tod war das Treffen mit Rydman und Andersson natürlich abgesagt worden. Es gab einfach keine Möglichkeit, der eventuellen Spionagearbeit eines Ermordeten hinterherzuschnüffeln.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte Meijtens.
Natalie dachte über seine simple Frage ungewöhnlich lange nach. Schließlich drehte sie sich zu ihm um, behielt die Sonnenbrille aber auf.
»Ich weiß nicht, ob ich dir das schon sagen soll. Es ist nämlich noch nicht offiziell, und du darfst es wirklich niemandem weitersagen.«
Er nickte.
»Sie haben mir London angeboten.«
»London? Wer?«
»Die Fernsehnachrichten. Sie begnadigen mich und bieten mir die Korrespondentenstelle in London an. Vor ein paar Monaten hatte ich mal ein bisschen vorgefühlt, was ich aber schon wieder fast vergessen hatte, als sie mich anriefen.«
Er sah sie erstaunt an, lächelte dann breit und legte die Hand auf ihre Schulter. »Herzlichen Glückwunsch, das meine ich ehrlich.«
»Für mich ist das perfekt«, erwiderte sie. »Nach allem, was privat und beruflich passiert ist. Es ist, ehrlich gesagt, ein tolles Gefühl, wieder Fernsehen machen zu dürfen. Lars freut sich natürlich auch riesig. Das haben wir wirklich gebraucht.«
Das war Natalies deutlichster Hinweis, dass es in ihrer Beziehung zu dem unsichtbaren Bankier Probleme gegeben hatte.
Sie erzählte weiter von ihrem neuen Job, anfangs jedoch tastend, als wäre sie sich nicht ganz sicher, wie Meijtens darauf reagieren würde. Die Aussichten für ihre Karriere und ihr Privatleben sahen immerhin ein wenig positiver aus, als das bei Meijtens der Fall war. Doch weil er interessiert nachfragte, entspannte sie sich und zeigte ihm offen, wie froh und erleichtert sie war.
Mitten in einem Satz
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