Ein Freund aus alten Tagen
gefunden hatten und gar nicht erst in Versuchung gerieten, den Lockrufen kommerzieller Medien nachzugeben.
Keiner sprach es offen aus, aber es wurde gemunkelt, dass der Grund für Meijtens’ Entlassung die Berichterstattung der letzten Zeit über Sjöhage und die Stadtverwaltung war. Ein paar Tage zuvor hatte die konkurrierende Tageszeitung einen neuen Artikel zu dem Thema veröffentlicht. Er war aus einem völlig anderen Blickwinkel geschrieben und siedelte die Verantwortung für die Vorfälle viel höher in der politischen Hierarchie an. Meijtens erklärte gereizt, diesen Artikel habe er damals schreiben wollen. Er sei froh, dass nun die wahre Geschichte ans Licht gekommen sei, und es sei ihm scheißegal, wer sie geschrieben habe oder wo. Die anderen wechselten vielsagende Blicke und wandten sich anderen Themen zu.
Später am selben Abend kam es zu einem unangenehmen Zwischenfall. Man hatte sich über den Tod der Ideologien und die erstarrte Ästhetik des Idealismus ausgelassen. Es war schon spät, und alle hatten große Mengen Wein getrunken. Die Diskussionsbeiträge wurden immer treffsicherer, als Meijtens die ganze Stimmung mit einem überraschenden Wutanfall verdarb. Er, der doch bekannt war für seine Zynismen, schwang nun Reden über Werte und Wahrheiten. Lallte, die Welt sei voller Helden, die aber eher selten im Možels vorbeischauten. Keiner verstand auch nur ein einziges Wort, aber einige fühlten sich angegriffen.
Als er mit der Begründung ging, er habe am nächsten Tag etwas Wichtiges vor, kaufte ihm das keiner ab, und alle gingen davon aus, dass es einige Zeit dauern würde, bis er zurückkehrte.
Meijtens kettete sein Fahrrad vor dem Eingang des Waldfriedhofs an einen Poller. Er zog die kleinen Spangen ab, die er benutzt hatte, um seine Anzughose zu schützen, und rückte die schwarze Krawatte gerade. Anschließend schloss er die Augen und atmete tief durch, ehe er langsam zur Bestattungskapelle ging.
»Also, weshalb trauerst du?«, hatte Jakub ihn gefragt, als sie sich zwei Tage zuvor getroffen hatten. Sie hatten ihre Plastikbecher genommen und sich mit dem Kaffee auf eine Bank vor der Universitätsbibliothek gesetzt. »Weil der Schuldige davonkommt oder weil die Unschuldigen nicht reingewaschen werden? Oder geht es möglicherweise um etwas anderes, weniger Edles?«
Zu Meijtens’ Erstaunen hatte Jakub die Nachricht von Peter Lauréns Schuld und Tod mit erhabener akademischer Gelassenheit aufgenommen. Verschwunden war das fast fieberhafte Interesse, das er für ihre Nachforschungen gezeigt hatte. Aber das tragische und enttäuschende Ende der Geschichte entsprach eben nur zu gut Jakubs Weltbild.
»Könnte es vielleicht sogar so sein, dass du um die Anerkennung trauerst, die dir nie zuteilwurde, um den Erfolg, der dir verwehrt geblieben ist?«
Meijtens wand sich, und Jakub lachte glucksend. Offenbar betrachtete er Meijtens’ Schweigen als ein Eingeständnis.
»Erfolg und Ehre sind höchst unzuverlässige Mätressen, mein Freund. Wenn du dich glücklich vermählen willst, dann mit der Arbeit, die sich selbst genug ist. Wahre Liebe ist niemals glanzvoll.«
Er erkundigte sich, was Meijtens nun vorhabe, worauf Meijtens keine Antwort wusste.
»Hast du mal darüber nachgedacht, an die Uni zurückzukommen? Nein, nein, schon klar. Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich kann dir berichten, dass die diesjährige Versammlung von Schwachköpfen schlimmer ist als je zuvor.«
Nein, dachte Meijtens, zu Automatenkaffee und dem Schwelgen in Misserfolgen werde ich niemals zurückkehren.
Sie verabschiedeten sich, ohne ein nächstes Treffen zu verabreden. Während Meijtens sein Fahrrad aufschloss, blieb Jakub neben ihm stehen.
Plötzlich sagte er: »Seit du gegangen bist, ist es nie mehr so gewesen wie früher.«
Meijtens sah ihn überrascht an. Jakub war ein wenig in sich zusammengesunken und wirkte ausnahmsweise keinen Zentimeter größer als seine ein Meter fünfundsechzig. Ehe Meijtens ihm antworten konnte, hatte er auf dem Absatz kehrtgemacht und war ins Gebäude geeilt.
Meijtens sah auf die Uhr und warf einen Blick auf die Bestattungskapelle. Einige Menschen gingen auf den Wegen entlang, die zu den zahlreichen Grabstätten führten, ansonsten lag völlige Stille über diesem Ort. Die Sonne schien, aber es war kalt. Er ging langsamer, wollte erst ankommen, wenn die Trauerfeier begann, und keine Minute früher.
Es kam ihm wie ein seltsames Ende seiner Suche nach der Wahrheit über Erik Lindman vor,
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