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Ein Ganz Besonderer Fall

Ein Ganz Besonderer Fall

Titel: Ein Ganz Besonderer Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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nicht reichen, um diese Freundlichkeit zu bezahlen.
    Bruder Cadfael hatte sich während der letzten Tage außerordentlich bescheiden und unauffällig im Hintergrund gehalten, hatte alle Vorschriften des Stundenplans peinlich genau befolgt, war pünktlich zu allen Gottesdiensten erschienen und hatte insgesamt, wie er vor sich selbst zugeben mußte, versucht, jeden Vorwurf zu entkräften, den der Himmel ihm machen mochte. Er war sicher, daß das Ende schon in Sicht war, und das war nicht nur gut, sondern sogar dringend notwendig für das Heil der Abtei und der Kirche und das Seelenheil aller Menschen, die jetzt weiterleben mußten, nachdem Humilis seine sterbliche Hülle verlassen hatte. Doch was die Mittel anging - er war alles andere als sicher, ob die Mittel völlig einwandfrei waren. Aber was kann ein Mann, was kann eine Frau tun, außer zu nutzen, was sich anbietet?
    Er stand am Tag des Begräbnisses früh auf, um sich vor der Prim noch etwas Zeit für private, sehr inbrünstige Gebete zu nehmen. Viel hing von diesem Tag ab, und er hatte gute Gründe, unruhig zu sein und sich um Nachsicht, Vergebung und Hilfe an St. Winifred zu wenden. Sie hatte ihm auch früher schon den Einsatz zweifelhafter Mittel für einen guten Zweck verziehen und ihm freundliche Güte gezeigt, wo strengere Schutzherren finster dreingeblickt hätten.
    Aber an diesem Morgen war ihm ein anderer Bittsteller zuvorgekommen. Jemand kauerte, fast flach auf dem Boden liegend, auf den drei Stufen, die zu ihrem Altar hinaufführten.
    Die starren Umrisse von Körper und Gliedern, die krampfhaft gefalteten Hände, die auf der höchsten Stufe ruhten, sprachen von einem Bedürfnis, das mindestens genauso drängend war wie sein eigenes. Cadfael zog sich leise in die Schatten zurück und wartete, und nach einer anscheinend sehr langen und qualvollen Zeit erhob sich der Bittsteller steif und zögernd wie ein verkrüppelter Mann. Er erhob sich von den Knien und glitt durch die Südtür in den Kreuzgang. Es war überraschend und erstaunlich, daß Bruder Urien am frühen Morgen allein so qualvoll betete. Cadfael hatte noch nie wirklich auf Bruder Urien geachtet. Niemand achtete auf ihn. Wer sprach mit ihm, wer war mit ihm vertraut? Der Mann hatte seine Einsamkeit selbst gewählt.
    Cadfael sprach seine Gebete. Er hatte getan, was ihm das beste schien, er hatte treue und fähige Helfer, und nun konnte er die ganze Sache nur noch vertrauensvoll St. Winifreds aufnahmebereiten walisischen Armen überlassen und sie daran erinnern, daß er ihr entfernter Verwandter war.
    Später am Morgen dieses milden, klaren Tages wurde Bruder Humilis oder Godfrid Marescot mit zeremonieller Feierlichkeit und in allen Ehren im Querschiff der Abteikirche von St. Peter und St. Paul beigesetzt.
    Cadfael hatte vergeblich nach einer ganz bestimmten Trauernden Ausschau gehalten, doch er hatte sie nicht gefunden. Nachdem er die Angelegenheit aber der Heiligen überlassen hatte, verließ er die Kirche ohne allzu große Unruhe. Und als die Brüder hinter Abt Radulfus in den großen Hof herauskamen, war sie auch richtig da, hübsch und adrett wie immer. Sie wartete am Torhaus, um vorzutreten und den Zug zu grüßen wie ein einsamer Ritter, der sich unerschrocken gegen eine ganze Armee wendet. Sie hatte die Gabe, den richtigen Zeitpunkt zu wählen, um von möglichst vielen Zeugen gesehen zu werden. Die Enthüllung sollte öffentlich und dramatisch stattfinden.
    Schwester Magdalena von den Benediktinerinnen in Godric’s Ford, ein paar Meilen zur walisischen Grenze hin entfernt, war in ihrer Jugend wunderschön und sehr weltlich gewesen, aus eigenem Wunsch die Geliebte eines Barons, die sich treu und ehrlich an die Abmachung gehalten hatte. Sie hielt ihr Wort und hielt, was sie versprochen hatte, heute, in ihrer neuen Berufung, genau wie damals. Wenn sie einige ihrer ergebenen Bauern aus den westlichen Wäldern als Begleitschutz mitgebracht hatte, dann waren diese im Augenblick diskret versteckt. Sie hatte das Feld für sich allein.
    Sie war eine füllige, rosige Frau in mittleren Jahren, mit hellen Augen und forschen Bewegungen. Die Überreste ihrer Schönheit waren unter dem strengen weißen Schleier und der schwarzen Kutte verborgen. Sie wirkte eher gemütlich und mütterlich, bis die unverwüstlichen Grübchen strahlend auf den Wangen erblühten wie der rasche Sprung eines kleinen goldenen Fisches, um sich ebenso rasch und sittsam wieder zu glätten wie das Wasser eines Stromes in der Sonne.

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