Ein ganzes halbes Jahr
auf und setzte dann ihren Weg die Straße hinunter fort.
Ich stellte die Tasse ab, atmete tief ein, und dann nahm ich den anderen Brief in die Hand, den Brief, den ich inzwischen seit beinahe sechs Wochen mit mir herumtrug.
Auf dem Umschlag stand unter meinem Namen in getippten Großbuchstaben:
AUSSCHLIESSLICH IM CAFÉ MARQUIS, RUE DES FRANCS BOURGEOIS, BEGLEITET VON CROISSANTS UND EINEM GROSSEN CAFÉ CRÈME, ZU LESEN.
Ich hatte gelacht, sogar während ich schluchzte, als ich diesen Umschlag zum ersten Mal gesehen hatte – typisch Will, befehlshaberisch bis zum Schluss.
Der Kellner – ein schlanker, lebhafter Mann, dem ein Dutzend Papierchen aus der Schürzentasche ragten – drehte sich um und fing meinen Blick auf. Alles okay? , sagten seine hochgezogenen Augenbrauen.
«Ja», sagte ich. Und dann, ein bisschen unsicher: «Oui.»
Der Brief war getippt. Ich kannte die Schriftart von einer Karte, die er mir einmal geschickt hatte. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und begann zu lesen.
Clark,
es werden ein paar Wochen vergangen sein, bis du das liest (selbst bei deinem neuentdeckten Organisationstalent ist es ja unwahrscheinlich, dass du es vor Anfang September nach Paris schaffst). Ich hoffe, der Kaffee ist gut und stark und die Croissants frisch und das Wetter immer noch schön genug, um draußen auf einem dieser Metallstühle zu sitzen, die immer ein bisschen wackeln. Es ist nicht schlecht, das Marquis. Das Steak ist auch gut, falls du zum Mittagessen wiederkommen willst. Und wenn du links die Straße runterschaust, wirst du hoffentlich L’Artisan Parfumeur sehen, wohin du, wenn du zu Ende gelesen hast, gehen und ein Parfüm namens Papillons Extrême (ich weiß den Namen nicht mehr ganz genau) ausprobieren solltest. Ich habe immer gedacht, dieser Duft würde großartig zu dir passen.
Okay, Ende der Anordnungen. Es gibt ein paar Dinge, die ich dir sagen wollte und dir persönlich gesagt hätte, aber du wärst a) total emotional geworden und hättest es mich b) sowieso nicht sagen lassen. Du redest nämlich selbst immer zu viel.
Also: Auf dem Scheck, den du in dem ersten Umschlag von Michael Lawler bekommen hast, steht nicht die ganze Summe, sondern er ist nur ein kleines Geschenk, um dir über die ersten Wochen der Arbeitslosigkeit zu helfen und bei deiner Reise nach Paris.
Wenn du zurück nach England kommst, nimm diesen Brief mit zu Michael in sein Londoner Büro, und er gibt dir alle nötigen Dokumente, sodass du Zugang zu einem Konto hast, das er in meinem Auftrag für dich eingerichtet hat. Der Betrag auf diesem Konto genügt, dass du dir eine schöne Wohnung kaufen und deine Studiengebühren und die Lebenshaltungskosten decken kannst, solange du Vollzeit-Studentin bist.
Meine Eltern wissen das inzwischen alles. Ich hoffe, dass dadurch und durch die notariell beglaubigten Unterlagen, die Michael Lawler bereitstellt, so wenig Theater wie möglich darum gemacht wird.
Clark, ich höre praktisch von hier aus, wie du anfängst, total überzureagieren. Gerate nicht in Panik, und versuche nicht, das Geld wegzugeben – es genügt ohnehin nicht, damit du den Rest deines Lebens auf der faulen Haut liegen kannst. Aber es soll dir ein bisschen Freiheit erkaufen, sowohl von diesem klaustrophobischen Städtchen, das wir unsere Heimat nennen, als auch von der Art Entscheidungen, an die du dich bisher gebunden gefühlt hast.
Ich gebe dir das Geld nicht, weil ich möchte, dass du wehmütig wirst oder glaubst, mir etwas zu schulden, oder womöglich meinst, ich wollte mir damit so etwas wie ein verdammtes Denkmal setzen.
Ich gebe es dir, weil es nicht mehr viel gibt, was mich außer dir noch glücklich macht.
Mir ist klar, dass du gelitten hast, weil du mich kanntest, dass du getrauert hast, und ich hoffe, dass du eines Tages, wenn du nicht mehr so wütend auf mich bist, nicht nur erkennen wirst, dass ich das Einzige getan habe, was ich tun konnte, sondern auch, dass es dir helfen wird, ein richtig gutes Leben zu führen, ein besseres Leben, als du es hättest, wenn wir uns nie begegnet wären.
Eine Zeitlang wirst du dich in deiner neuen Welt unbehaglich fühlen. Es ist nie ein schönes Gefühl, wenn man aus seiner Kuschelecke vertrieben wird. Aber ich hoffe, du bist auch ein bisschen begeistert. Dein Gesicht, als du vom Tauchen zurückgekommen bist, hat mir alles gesagt. Du hast einen Hunger in dir, Clark. Eine Furchtlosigkeit. Die hast du einfach nur in dir begraben, wie es die meisten Leute tun.
Ich sage dir
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