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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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ließ seinen Blick wachsam von einem zum anderen wandern.
    Mum schien zu überlegen, ob sie noch einmal Brot anbieten sollte, und tat es dann doch nicht.
    Schließlich sagte Patrick mit Märtyrerstimme: «Ich dachte einfach, diese Studie könnte Ihnen nützen.»
    Will sah auf und lächelte mit höflicher, ausdrucksloser Miene. «Ich werde es im Hinterkopf behalten.»
    Ich stand auf, um die Teller abzuräumen, weil ich vom Tisch flüchten wollte. Aber Mum sagte, ich solle sitzen bleiben.
    «Du bist das Geburtstagskind», meinte sie – als ob sie jemals jemand anderen etwas machen lassen würde. «Bernard. Würdest du das Brathähnchen holen?»
    «Ha. Dann hoffen wir mal, dass es inzwischen nicht mehr herumflattert, was?» Dad lächelte gezwungen. Es sah mehr aus wie eine Grimasse.
    Das restliche Abendessen verlief ohne weitere Zwischenfälle. Meine Eltern waren vollkommen bezaubert von Will. Patrick weniger. Er und Will wechselten kaum noch ein Wort miteinander. Ungefähr als Mum die Bratkartoffeln servierte – und Dad wie üblich versuchte, sich ein paar mehr zu stibitzen –, hörte ich auf, mir Sorgen zu machen. Dad fragte Will über sein früheres Leben aus, sogar über seinen Unfall, und Will fühlte sich anscheinend wohl, denn er antwortete ohne Umschweife. Ich erfuhr sogar noch einiges, was er mir bislang nicht erzählt hatte. Seine Arbeit zum Beispiel hörte sich ziemlich komplex an, obwohl er es herunterspielte. Er hatte Firmen gekauft und mit Gewinn weiterverkauft. Dad musste ein paar Anläufe starten, bevor wir erfuhren, dass sich Wills Vorstellung von Gewinn im sechs- bis achtstelligen Bereich abgespielt hatte. Ich stellte fest, dass ich Will anstarrte, weil ich versuchte, in ihm den skrupellosen Anzugträger zu erkennen, als den er sich beschrieb. Dad erzählte ihm von der Firma, die dabei war, die Möbelfabrik zu übernehmen, und als er den Namen nannte, nickte Will beinahe entschuldigend und sagte, ja, er hätte von dieser Firma schon gehört. Und ja, er hätte vermutlich auch einen Übernahmeversuch gestartet. Die Art, wie er das sagte, klang nicht gerade vielversprechend für Dads Job.
    Mum gurrte Will die ganze Zeit an. Als ich sie so betrachtete, wie sie ihn anlächelte, wurde mir bewusst, dass sie irgendwann während des Essens angefangen hatte, ihn einfach nur als einen netten jungen Mann zu betrachten, der an ihrem Tisch saß. Kein Wunder, dass Patrick beleidigt war.
    «Geburtstagskuchen?», sagte Großvater, als Mum begann, die Teller abzuräumen.
    Das kam so klar heraus und so überraschend, dass Dad und ich uns schockiert anstarrten. Alle hörten auf zu reden.
    «Nein.» Ich ging um den Tisch und küsste Großvater auf die Wange. «Nein, Großvater. Tut mir leid. Es gibt Mousse au Chocolat. Aber die wirst du auch mögen.»
    Er nickte zustimmend. Meine Mutter strahlte. Ich glaube nicht, dass sich irgendwer von uns ein besseres Geschenk für sie hätte ausdenken können.
    Die Mousse kam auf den Tisch und mit ihr ein quadratisches Päckchen in Telefonbuchgröße, das in Geschenkpapier verpackt war.
    «Jetzt gibt’s die Geschenke, oder?», sagte Patrick. «Hier. Hier ist meins.» Er lächelte mich an, als er es mitten auf den Tisch legte.
    Ich zwang mich dazu, sein Lächeln zu erwidern. Das war nicht der passende Moment für einen Streit.
    «Los», sagte Dad. «Mach sie auf.»
    Ich wickelte zuerst ihr Geschenk aus, ganz vorsichtig, damit das Papier nicht einriss. Es war ein Fotoalbum, und auf jeder Seite war ein Foto, das ein Jahr meines Lebens repräsentierte. Ich als Baby. Ich und Treena als ernste, pausbäckige Mädchen. Ich an meinem ersten Tag in der Schule, mit Haarspängchen und einem viel zu großen Rock. Es gab auch jüngere Bilder. Eines zeigte mich mit Patrick, es war das Foto, bei dessen Aufnahme ich ihn einen verdammten Blödmann genannt hatte. Und wieder ich, in einem grauen Rock, an dem Tag, an dem ich angefangen hatte zu arbeiten. Zwischen den Seiten mit den Fotos waren Bilder, die Thomas von unserer Familie gemalt hatte, Briefe von Klassenfahrten, die Mum aufgehoben hatte und in denen ich ihr mit meiner kindlichen Schrift von Strandtagen, heruntergefallener Eiscreme und räuberischen Möwen berichtete. Ich blätterte durch das Album und zögerte nur kurz, als ich die junge Frau mit den langen, dunklen, zurückgeworfenen Haaren sah. Ich schlug die Seite um.
    «Darf ich auch mal sehen?», sagte Will.
    «Wir haben gerade … nicht unser bestes Jahr», erklärte ihm Mum, als ich

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