Ein ganzes halbes Jahr
gar nicht so einfach.
«Bestimmt. Alles wird gut.»
Sie küsste mich auf den Kopf und strich sich mit den Händen die Schürze glatt. «Wenn doch deine Schwester da wäre. Es kommt mir falsch vor, ohne sie zu feiern.»
Mir kam es nicht falsch vor. Ich genoss es, ausnahmsweise mal im Mittelpunkt zu stehen. Das klingt vielleicht kindisch, aber so war es eben. Ich freute mich, dass Dad und Will über mich lachten. Ich freute mich, dass sämtliche Gänge des Essens, von dem Brathähnchen bis zur Mousse au Chocolat, meine Lieblingsgerichte waren. Und es gefiel mir, dass ich sein konnte, wer ich sein wollte, ohne dass mich meine Schwester ständig daran erinnerte, wie ich früher war.
Es klingelte, und Mum wedelte mit den Händen. «Da ist er endlich. Lou, würdest du schon einmal die Vorspeise holen?»
Patrick war noch ganz erhitzt vom Training. «Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Babe», sagte er und beugte sich zu mir herunter, um mich zu küssen. Er roch nach Aftershave und Deo und warmer, frischgeduschter Haut.
«Am besten gehst du sofort durch», sagte ich und nickte in Richtung Wohnzimmer. «Mum kriegt gleich einen Nervenzusammenbruch, weil das Hähnchen so lang im Ofen war.»
«Oh.» Er warf einen Blick auf die Uhr. «Ich habe völlig die Zeit vergessen.»
«Aber nicht deine Zeit, oder?»
«Was?»
«Ach nichts.»
Dad hatte den großen Ausziehtisch ins Wohnzimmer geschafft. Außerdem hatte er nach meinen Anweisungen eins der Sofas an die andere Wand geschoben, sodass Will ohne Probleme durch den Raum kam. Er manövrierte seinen Rollstuhl zu dem Platz am Tisch, auf den ich deutete, und fuhr dann den Sitz etwas hoch, sodass er mit uns anderen auf einer Höhe war. Ich saß auf seiner linken Seite und Patrick gegenüber. Er, Will und Großvater nickten sich zur Begrüßung zu. Ich hatte Patrick schon gesagt, dass er nicht versuchen sollte, Will die Hand zu geben. Beim Hinsetzen bekam ich mit, dass Will Patrick musterte, und ich fragte mich kurz, ob er zu meinem Freund genauso charmant sein würde wie zu meinen Eltern.
Will wandte mir den Kopf zu. «Wenn Sie in die Tasche hinten am Rollstuhl schauen, finden Sie ein kleines Mitbringsel zum Essen.»
Ich lehnte mich zurück und griff in die Tasche. Als ich sie wieder herauszog, hatte ich eine Flasche Laurent-Perrier-Champagner in der Hand.
«Zum Geburtstag sollte man immer Champagner trinken», sagte er.
«Oh, seht euch das an», sagte Mum, die mit dem Essen hereinkam. «Wie aufmerksam! Aber wir haben keine Champagnergläser.»
«Diese Gläser sind wunderbar», sagte Will.
«Ich mache ihn auf.» Patrick griff nach der Flasche, entfernte den Draht und legte seine Daumen unterhalb des Korkens an. Die ganze Zeit warf er Will Blicke zu, als hätte er ihn sich ganz anders vorgestellt.
«Wenn Sie es so machen», bemerkte Will, «spritzt er überall herum.» In einer vagen Geste hob er seinen Arm ein winziges Stückchen. «Ich finde, dass es besser geht, wenn man den Korken festhält und die Flasche dreht.»
«Da kennt sich jemand mit Champagner aus», sagte Dad. «Mach es so, Patrick. Die Flasche drehen, sagen Sie? Tja, wer von euch hat das gewusst?»
«Ich», sagte Patrick. «Genau so wollte ich es auch machen.»
Der Champagner wurde ohne Komplikationen entkorkt und eingeschenkt, und dann stießen wir auf meinen Geburtstag an.
Großvater rief etwas, das eventuell «Bravo» gewesen sein konnte.
Ich stand auf und bedankte mich mit einer Verbeugung. Ich trug ein gelbes Minikleid aus den Sechzigern, das ich im Secondhandladen entdeckt hatte. Die Verkäuferin hatte gemeint, es wäre vielleicht von Biba, aber jemand hatte das Schildchen herausgeschnitten.
«Möge dies das Jahr sein, in dem unsere Lou endlich erwachsen wird», sagte Dad. «Ich wollte zuerst sagen: ‹etwas aus ihrem Leben macht›, aber wie es aussieht, tut sie das schon. Ich muss sagen, Will, seit sie den Job bei Ihnen hat, ist sie … nun, ist sie richtig aus sich herausgekommen.»
«Wir sind sehr stolz auf sie», sagte Mum. «Und Ihnen sind wir dankbar. Weil Sie Lou eingestellt haben, meine ich.»
«Ich bin derjenige, der dankbar dafür ist, dass sie bei mir arbeitet», sagte Will und warf mir einen Seitenblick zu.
«Auf Lou», sagte Dad. «Und ihren weiteren erfolgreichen Lebensweg.»
«Und auf die abwesenden Familienmitglieder», sagte Mum.
«Du meine Güte», sagte ich. «So viele Komplimente kriege ich von euch sonst nie zu hören. Ich sollte wirklich öfter Geburtstag
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