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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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Pflegefall?»
    « Du findest ihn also attraktiv.»
    Ich streifte das Kleid ab und zog vorsichtig die Strumpfhosen aus. Die Reste meiner guten Laune lösten sich in nichts auf. «Ich fasse es einfach nicht. Ich fasse es nicht, dass du auf ihn eifersüchtig bist.»
    «Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig auf ihn», sagte er verächtlich. «Wie könnte ich auf einen Krüppel eifersüchtig sein?»
    Patrick und ich liebten uns in dieser Nacht. Vielleicht ist der Ausdruck ‹lieben› in diesem Fall ein bisschen überstrapaziert. Wir hatten Sex, einen echten Marathon, bei dem er wild entschlossen schien, mir zu demonstrieren, wie trainiert, kraftvoll und vital er war. Es dauerte Stunden. Wenn er mich an irgendeinem Kronleuchter hätte schaukeln lassen können, hätte er es bestimmt gemacht. Es war nett, sich so begehrt zu fühlen und nach Monaten endlich einmal wieder im Zentrum von Patricks Aufmerksamkeit zu stehen. Aber ein kleiner Teil von mir hielt sich während der gesamten Aktion zurück. Ich hatte nämlich den Verdacht, dass es im Grunde gar nicht um mich ging. Das war mir sehr schnell klargeworden. Diese kleine Show wurde wegen Will abgezogen.
    «Und? Wie war ich?» Er hatte danach die Arme um mich geschlungen, unsere leicht verschwitzte Haut klebte aneinander, und er küsste mich auf die Stirn.
    «Toll», sagte ich.
    «Ich liebe dich, Babe.»
    Und befriedigt rollte er sich von mir weg, legte einen Arm hinten übers Kissen und war innerhalb von Minuten eingeschlafen.
    Weil ich dagegen einfach nicht einschlafen konnte, stand ich auf und ging zu meiner Tasche. Ich wühlte auf der Suche nach dem Kurzgeschichtenband von Flannery O’Connor darin herum. Als ich das Buch aus der Tasche zog, fiel der Umschlag heraus.
    Ich starrte ihn an. Wills Karte. Ich hatte den Umschlag vorher nicht aufgemacht. Als ich es jetzt tat, spürte ich eine merkwürdige Polsterung in der Mitte. Ich zog die Karte heraus und klappte sie auf. Darin lagen zehn knisternde Fünfzigpfundscheine. Ich zählte sie zweimal, weil ich meinen Augen nicht traute. Auf der Karte stand:
Geburtstagsbonus. Machen Sie kein Theater. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. W.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 14
    D er Mai war ein seltsamer Monat. In den Zeitungen und im Fernsehen wurde ständig über das «Recht auf Freitod» gestritten. Eine Frau, die an einer Degenerationskrankheit litt, hatte eine Klärung der Gesetzeslage gefordert. Sie wollte ihren Ehemann schützen für den Fall, dass er sie zu Dignitas begleitete, wenn ihr Leiden unerträglich wurde. Ein junger Fußballer, der seit einem Trainingsunfall gelähmt war, hatte dort Selbstmord begangen, nachdem er seine Eltern dazu überredet hatte, ihn hinzubringen. Die Polizei schaltete sich ein. Das Thema sollte im Parlament diskutiert werden.
    Ich verfolgte die Nachrichten, hörte mir die Argumente der Juristen und die der Moralphilosophen an und wusste trotzdem nicht, auf welche Seite ich mich stellen sollte. All das schien merkwürdigerweise nichts mit Will zu tun zu haben.
    Wir machten inzwischen regelmäßig Ausflüge. Will war mittlerweile bereit, auch längere Strecken auf sich zu nehmen. Wir waren auf einer Folklore-Veranstaltung gewesen (Will hatte beim Anblick der Schellen und Halstücher der Tänzer keine Miene verzogen, was ihn aber so anstrengte, dass er leicht rosa angelaufen war), hatten ein Open-Air-Konzert auf einem nahe gelegenen Landgut besucht (das war mehr sein Ding als meines), und einmal waren wir im Kino, wo wir uns aufgrund meiner schlechten Vorbereitung des Ausflugs einen Film über ein Mädchen mit einer tödlichen Krankheit ansahen.
    Aber ich wusste, dass auch er die Debatte in den Medien verfolgte. Er benutzte den Computer viel häufiger, seit wir die neue Software installiert hatten, und er hatte herausgefunden, wie er den Cursor steuern konnte, wenn er mit dem Daumen über das Touchpad fuhr. Diese mühsamen kleinen Bewegungen ermöglichten es ihm, online Zeitung zu lesen. Einmal, als ich ihm morgens einen Tee brachte, las er einen Artikel über den jungen Fußballspieler – es war ein genau recherchierter Bericht über den komplizierten Prozess, den er hatte durchlaufen müssen, bis er seinen Tod herbeiführen durfte. Will schaltete den Bildschirm ab, als er mich hinter sich bemerkte. Nach diesem kleinen Vorkommnis hatte ich das Gefühl, in meiner Brust läge ein Stein. Erst nach einer halben Stunde beruhigte ich mich langsam wieder.
    Ich sah mir den Artikel in der Bibliothek noch

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