Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
einer Uhr fasziniert.
Donna Williams schrieb: »Aber was ich besonders gern hörte, waren alle metallischen Klänge. Zum Leidwesen meiner Mutter fiel auch die Türklingel in diese Kategorie und ich verbrachte Stunden damit, diese Klingel zu drücken.« 30 An einer anderen Stelle schreibt sie: »Meine Mutter hat seit Kurzem ein Klavier und ich liebe schon seit ich klein war alles, was klimpert. Ich habe Sicherheitsnadeln zusammengekettet und wenn ich nicht gerade auf ihnen herumkaute, habe ich sie an meinem Ohr klingeln lassen. Zu meinen Lieblingsgegenständen gehörte ein Kristall und eine Stimmgabel, die ich jahrelang bei mir trug.« 31
Berührungsempfindlichkeit
Eine Überempfindlichkeit gegenüber taktilen Reizen kommt bei mehr als 50 Prozent der Kinder mit Asperger-Syndrom vor. 32 Dabei kann eine besondere Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Arten der Berührungen, dem ausgeübten Druck oder der Berührung bestimmter Körperteile bestehen.
Angst vor Umarmungen
Temple Grandin beschreibt ihre taktile Überempfindlichkeit, als sie klein war: »Als Baby weigerte ich mich immer, berührt zu werden, und als ich etwas älter war, machte ich mich steif und zuckte zusammen, wenn Verwandte mich umarmen wollten.« 33 An einer anderen Stelle schreibt sie: »Als Kind hat es mich schon getröstet, gehalten zu werden, aber gleichzeitig hatte ich auch große Angst, die Kontrolle zu verlieren und überwältigt zu werden, wenn andere mich umarmten. 34
Temple Grandin empfand also Umarmungen als zu intensiv und überwältigend, wie eine Flutwelle von Reizen. Kinder mit Asperger-Syndrom vermeiden auch oft, anderen Kindern zu nah zu kommen, weil sie dann unabsichtlich berührt werden könnten. Wenn Verwandte zu Besuch kommen, besteht immer die »Gefahr«, dass man geküsst oder umarmt wird.
Wenn bestimmte Stoffe sich unerträglich anfühlen
Liane Holliday Willey schrieb über ihre Kindheit: »Für mich war es unmöglich, bestimmte Kleidung auch nur zu berühren. Ich hasste steife, seidene, kratzige Sachen, solche, die mir zu eng waren. Wenn ich nur an sie dachte, bekam ich eine Gänsehaut, zitterte und fühlte mich unwohl. Ich habe dann alles ausgezogen, selbst, wenn ich in der Öffentlichkeit war.« 37
AUS DEM LEBEN
Abneigung gegen bestimmte Kleidungsstücke
Temple Grandin hatte als Kind ebenfalls eine Abneigung gegen bestimmte Kleidungsstücke:
»Einige schlechte Verhaltensweisen wurden direkt durch sensorische Schwierigkeiten ausgelöst. Ich habe mich etwa oft in der Kirche danebenbenommen und geschrien, weil sich meine Sonntagskleidung anders anfühlte. Wenn ich bei kaltem Wetter draußen mit Rock herumlief, taten mir die Beine weh. Kratzige Petticoats machten mich wahnsinnig. Was den meisten anderen nichts ausmachen würde, kann sich für ein autistisches Kind anfühlen, als würde man mit Sandpapier auf der Haut reiben. Bestimmte Reize werden durch ein gestörtes Nervensystem besonders verstärkt. Man hätte das Problem lösen können, indem man Sonntagskleidung gewählt hätte, die sich wie Alltagskleidung anfühlt. Als Erwachsene fühle ich mich oft sehr unwohl, wenn ich eine neue Art von Unterwäsche tragen muss. Die meisten Menschen sind an verschiedene Arten von Kleidung gewöhnt. Ich dagegen fühle das Neue der Kleidung noch nach Stunden. Heute kaufe ich Alltags- und festliche Kleidung, die sich gleich anfühlt.« 35
AUS DEM LEBEN
»Haareschneiden tat mir weh«
Stephen Shore schrieb über seine Kindheit:
»Haareschneiden war immer eine schwierige Angelegenheit. Es tat weh! Um mich zu beruhigen, haben mir meine Eltern gesagt, dass die Haare leblos sind und ich sie nicht spüre. Ich konnte ihnen nicht klarmachen, dass ich darunter litt, dass es an meiner Kopfhaut ziepte. Ein Problem war auch, wenn jemand anderes mir die Haare wusch. Heute, wo ich älter bin und sich auch mein Nervensystem weiterentwickelt hat, habe ich mit dem Haareschneiden keine Probleme mehr.« 36
Soweit ich weiß, tut sie das heute als Erwachsene nicht mehr. Sie schrieb mir allerdings kürzlich, dass sie immer noch diese Überempfindlichkeit hat und sich manchmal neue Kleidung kaufen muss, wenn sie das, was sie gerade trägt, nicht mehr ertragen kann und zu weit von zu Hause weg ist, um sich schnell mal umzuziehen.
Das Kind besteht oft darauf, nur wenige verschiedene Kleidungsstücke zu haben, um nicht ständig neuen taktilen Reizen ausgesetzt zu sein. Die Eltern müssen diese wenigen Sachen also oft waschen und dafür sorgen, dass sie
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