Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Strecke gebracht hatte, oder ob das durch die Stadt geisternde Gerücht der Wahrheit entsprach, Sören Boje habe auch für den entkommenen Täter des ersten, des Meßbergmordes gebüßt. Vielleicht machten diese Zweifel einen demütigeren, somit besseren Polizisten aus Ekhoff.
Der große Streik, von dem schon so lange gesprochen worden war, begann Ende November des folgenden Jahres und legte den Hafen für drei Monate lahm. Ein bitterer Hungerwinter ohne Sieg für die streikenden Arbeiter und Seeleute, für Paul Ekhoff eine Zeit schwerer Entscheidungen.
Boje wurde wegen der Morde an Thomas Winfield und Knut Weibert zum Tode verurteilt. Als Hauptbeweis für den ersten Mord galt der in seiner Werkstatt gefundene Siegelring Winfields, was den Mord zum Raubmord gemacht hatte. Boje leugnete beharrlich, den Ring jemals auch nur gesehen zu haben. Die Meldung der Reinemachefrau Irma Heimfeld, sie habe zwei Tage bevor Sören Boje verhaftet worden war, einen gut und teuer gekleideten Herrn aus der Hauswartwohnung kommen sehen, als Boje gerade wieder bei dem feinen Doktor in St. Georg war, wurde als Versuch der Entlastung eines Mörders ignoriert. Zum Beweis für den zweiten Mord bezeugte Vigilanz-Offiziant Dräger, er habe den Hauswart nach der Tat weglaufen sehen, er erkenne ihn wieder, ganz eindeutig. Diese Tat gestand Boje endlich ein, den ersten Mord nie.
Die Todesstrafe wurde von breiten Schichten der Bevölkerung als barbarisches Relikt aus einem finsteren Mittelalter abgelehnt, beide Vorgänger des Kaisers hatten nahezu alle Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt. Kaiser Wilhelm II. folgte diesem aus christlicher Ethik geborenen Usus nicht, bis auf wenige Ausnahmen lehnte er alle Gnadengesuche ab, die Zahl der Todesurteile und der Hinrichtungen stieg unter seiner Regentschaft schlagartig um ein Vielfaches. Das Fallbeil, so stand es später im Protokoll, habe den Hals Bojes erst im zweiten Fall ganz vom Rumpf getrennt.
Schließlich verließ auch Hetty Winfield, die sich bald wieder Henrietta Mommsen nennen sollte, die Stadt. Sie kehrte nicht nach England zurück, ihre Wohnung in Clifton war aufgelöst, ihre Möbel und der größte Teil des Hausrats versteigert. Für so etwas gab es dienstbare Geister, Blessing und Claire hatten alles organisiert. Drei Kisten mit sehr persönlichem Besitz waren aus England gekommen und auf dem Dachboden der Alstervilla deponiert, die zukünftig als die Blessing’sche bezeichnet werden sollte. Henrietta reiste nach dem Orient. Für ein Jahr zunächst, dann würde man sehen. Sie hatte Abschied genommen, auch von den Gräbern. Es war schwer gewesen, in den nächsten Jahren würde sie erfahren, dass ein Abschied tatsächlich sehr lange dauert. Mancher gelingt nie. Marline Siddons erwartete sie mit freudiger Ungeduld und plante, Hetty ihre neue Heimat zu zeigen, auch die Ausgrabungen im Westen.
Alma Lindner begleitete Sophus Mommsens Tochter, und wie es der Zufall wollte, trafen sie beim Umstieg in Berlin in den Orientexpress auf dem Perron einen Reisenden im hellen Anzug, einen etwas unpassenden Tropenhelm unter dem Arm, das sehr kurz geschnittene Haar mehr rot als blond. Der junge Ingenieur, der sein technisches Wissen in den englischen Industriegebieten abgerundet hatte, reiste mit demselben bequemen Expresszug nach dem Bosporus und von dort weiter nach Südosten, um an der so abenteuerlichen wie umstrittenen Bagdadbahn mitzubauen.
Die Sache mit den Bildern wurde nie geklärt, es gab darum kein Geheimnis, was Hetty in einem romantischen Moment durchaus bedauerte. Sophus Mommsen hatte sie gekauft, weil sie ihm gefielen. Ein alternder Privatier mit einer späten Liebe zur modernen Malerei – solche Unfälle passierten. Christines Bilder von der Alster und von der Schelde tauchten nicht wieder auf. Ersteres hing in Ernst Grootmanns Ankleidezimmer und wurde mit dem gesamten Inventar des von ihm, Mary und ihren Kindern bewohnten Seitenflügels versteigert.
Henrietta verkaufte mit Hilfe der Blessings auch ihr Haus samt Garten mit Elbblick und die meisten der Werke aus dem Bilderzimmer. Nur Mary Cassatts Gemälde von dem glücklichen Sommertag unter dem Robinienbaum blieb immer in ihrem Besitz.
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Danksagung
E s heißt, das Bücherschreiben sei ein einsames Geschäft. Das stimmt! Aber vor dem Schreiben steht die Recherche, nach dem Schreiben folgt die Feinarbeit am Text – beides gelingt nur mit der Unterstützung kenntnisreicher, hilfsbereiter und nicht
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