Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Siechen. Dr. Murnau hat sicher eine Menge Patienten auf der Uhlenhorst, das Villenquartier ist nur fünf Minuten entfernt.»
Ekhoff war wieder eingefallen, wo er den Namen des Arztes zuletzt gehört hatte. Er kannte viele Ärzte in der Stadt, dieser war ihm neu gewesen, als Ernst Grootmann die Befragung Henrietta Winfields von Dr. Murnaus Erlaubnis abhängig machen wollte. ‹Unser Hausarzt Dr. Murnau›, hatte er gesagt.
«Lassen Sie uns rasch zu Mittag essen und dabei ein Resümee ziehen, Henningsen. Anschließend nehmen Sie die Straßenbahn nach St. Georg und fragen den feinen Doktor nach seinem Malaria-Patienten aus dem Souterrain.»
Henningsen verstand das als Vertrauensbeweis und freute sich, außerdem genoss er jede Fahrt mit der Elektrischen. Er wunderte sich nur, als Kommissar Ekhoff vehement ablehnte, wieder in der Kaffeeklappe am Pferdeborn zu essen. Natürlich waren die ewigen Tellergerichte dort fade und zerkocht, aber immer nahrhaft und billig, genau das Richtige, besonders wenn man bedachte, was ein Polizist verdiente, auch ein Kriminalkommissar, der Frau und zwei Kinder zu ernähren hatte.
* * *
In dieser Nacht fand Henrietta wieder lange keinen Schlaf. Sie erinnerte sich nicht an alles, was Christine von Edding gesagt hatte, es war sehr viel und manches heftig gewesen, aber die Essenz klang in ihr nach: ‹Überlegen Sie gut, bevor Sie entscheiden, was Sie tun wollen. Und wen Sie um Rat fragen.›
Ihre Warnung vor dem kaum vermeidbaren Skandal, wenn ein Betrug bekannt würde, klang wie ein Duett mit den unterstrichenen Zeilen in den Tagebuchnotizen: Alles kann sich als Irrtum herausstellen. Nichts darf jemals nach außen dringen .
Aber womöglich – nein, das war ein so törichter wie gemeiner Gedanke. Warum sollte Christine versuchen, zwischen ihr und den Grootmanns Misstrauen zu säen? Sie, Henrietta, hatte sich ganz selbstverständlich auf die Auskünfte über ihr Erbe und den ihr noch verbleibenden Besitz verlassen. Was sonst? Sie verstand nichts von diesen Dingen, also vertraute sie auf die honorigen Männer ihrer Familie. Sie hatte sich immer behütet gefühlt – und war dabei nur ein liebes Schaf geblieben?
In keiner Nacht zuvor war ihr das Haus so voller fremder Geräusche erschienen, der Wind von der Elbe und in den Baumkronen so warnend. Nicht einmal in ihrer ersten Nacht, als sie voller Angst auf tanzende Schatten hereingefallen war. Sie musste Geduld haben, ein oder zwei Tage, vielleicht drei, das war viel Zeit, um nachzudenken und alles abzuwägen, und vielleicht würde noch etwas geschehen, das ihr die Entscheidung erleichterte oder abnahm.
Die Kiesel, wie sie die Steine weiter nannte, einfach an einem sicheren Ort aufzubewahren, um sie später, sehr viel später, schleifen zu lassen oder zu verkaufen, war ihr unmöglich, solange sie ihre Herkunft und Bestimmung nicht kannte. Sie fühlte sich in einer Geschichte gefangen, die ihr fremd war wie der Mond. Ein Tag, zwei Tage, drei Tage. Dann musste sich alles klären. Bevor sie endlich doch einschlief, ertappte sie sich bei dem Gedanken, wie schön es jetzt wäre, wieder in einen langen fiebrigen Schlaf zu fallen.
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Kapitel 13
Mittwoch
S päter hieß es in der Stadt, es sei beruhigend gewesen, wie gut die Polizei in diesen unruhigen Jahren für Ordnung und gerechte Strafe sorgte. Je mehr Zeit jedoch verging, umso mehr geriet in Vergessenheit, dass die Frage von Recht und Unrecht in diesem Fall tatsächlich nie ganz geklärt wurde.
Es war ein schöner Abend, ein wenig kühl schon, aber es roch immer noch stärker nach Sommer als nach Herbst, als Wilhelmine Grootmann fünf Dutzend Gäste zu einem Begrüßungsdinner empfing. Wie immer bei ihren Besuchen war sie bemüht, alte Freunde zu treffen, deren Zahl allerdings auf natürliche Weise von Jahr zu Jahr kleiner wurde. Um die gute Stimmung dieser Abende zu erhalten, sorgte Lydia Grootmann dafür, die Lücken durch andere Freunde des Hauses zu füllen, was zur Folge hatte, dass Wilhelmine auch an diesem Abend freudig und würdevoll Gäste begrüßte, die sie nie zuvor gesehen hatte. Obwohl es eine wirklich kurzfristige Einladung war, waren fast alle gekommen. Nur Jason Highbury hatte sich mit tiefem Bedauern entschuldigen lassen, er war auf dem Weg nach St. Petersburg. Was er da wollte, wusste kein Mensch. Vielleicht wollte er seine irischen gegen russische Wolfshunde eintauschen.
Hetty traf als eine der Letzten ein. Niemand folgte in den ersten
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