Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Stadt. Gleich morgen früh. Sofort.»
«Trotzdem bleibst du ein Risiko, das ist so wahr wie bedauerlich. Was soll ich nur mit dir tun?»
«Ja, was?» Endlich wurde Christines Stimme zornig. «Hier im Garten deiner ehrbaren Familie. Vielleicht hockt Mary hinter der Hecke und hört alles. Die arme betrogene Ehefrau. Mary, so taub und so blind.»
«Hör auf!»
«Gleich», flüsterte Felix an Hettys Ohr, «zur Remise. Gleich. Ich muss erst hören …»
«Taub und blind und brav», höhnte Christine voller Zorn. «Willst du ihr eine Leiche in den Garten legen? Deine Geliebte als Leiche. Was für eine Morgengabe. Nein, viel besser: nicht deiner Frau. Deiner vergeblich geliebten, über die Maßen verehrten Frau Mama. Unerreichbar für dich wie das Paradies.»
Ein scharfes Klatschen schnitt die atemlos hervorgestoßenen Worte ab. Ein dumpfer Fall.
Da endlich wandelte sich Hettys Starre in Wut, und sie sprang auf, stürzte durch den Spalt in der Hecke in die Laube und prallte mit erhobenen Fäusten gegen Ernst. Christine lag, auch in der Düsternis an ihrem leuchtenden Kleid zu erkennen, vom Sturz auf die Schieferplatten benommen am Boden der Laube. Ernst griff Henriettas Arme, drehte und umfasste sie blitzschnell, etwas drückte sich hart, scharf und kalt an ihren Hals.
Felix stand im Eingang der Laube, hilflos verharrend. «Lass sie los», rief er, «es hat doch keinen Sinn!»
«Du bleibst, wo du bist, Felix», zischte Ernst, «wie immer. Es geht auch so – ein rascher kleiner Schnitt.»
«Nein. So bist du nicht. Nicht so. Wir können alles regeln, niemand wird erfahren …»
«Lass sie los, Ernst, und schick sie weg!» Lydia Grootmann trat aus dem Schatten der Hecke in die Laube, ihre schmale Gestalt und die weiße Haut glichen in der Dunkelheit einer der Statuen im Park. «Komm her, Henrietta, er wird dir nichts tun. Nicht, wenn ich zusehe.»
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Epilog
N ur wenige Menschen wissen, was in jener Nacht im Grootmann’schen Garten noch geschah, und die sprachen nie darüber. Sicher ist, dass Ernst Grootmann verschwand und in Hamburg nicht mehr gesehen wurde. Dafür gab es immer wieder Nachrichten aus fernen Weltgegenden. Einmal hieß es, er lebe in St. Petersburg, dann berichtete ein ungarischer Reisender, er habe ihn in Odessa getroffen, er leide an Schwindsucht, es bestehe wenig Hoffnung. Von dem wiederum hieß es bald, Grootmann habe ihn für dieses Gerücht bezahlt, wer als tot gelte, lebe freier. An der Börse tauchte schließlich das Gerücht auf, er habe sich in Accra niedergelassen und eine eingeborene Frau geheiratet, andere sagten, er sei bei den ständigen Kämpfen der Engländer mit den afrikanischen Fürsten zwischen die Fronten geraten und in der Herbstregenzeit in den Savannen verschollen. Aus der Kapprovinz kam kein Gerücht.
Aus der Alstervilla und aus dem Kontor in der Speicherstadt hörte man nur, Ernst Grootmann sei als Juniorchef nach Westafrika unterwegs, um in den neuen Anbaugebieten für Kakao die Möglichkeit eigener Pflanzungen zu prüfen.
Das klang gut und halbwegs plausibel, jedoch hatte bis dahin niemand von diesem Vorhaben gehört, und kein vernünftiger Kaufmann begab sich ohne wochenlange Vorbereitung plötzlich in der Nacht auf eine solche Reise. So fand ein anderes, ein unfassbares Gerücht schnell Gehör, nach dem Ernst Grootmann in kriminelle Unternehmungen verwickelt sei. Womöglich habe er sogar selbst einen Mann aus purer Habgier getötet, wurde geraunt. Der ganze Ehrenmann sei nur eine Maske gewesen. Natürlich gab es entschiedene Gegenstimmen zu solchen, die kollektive hanseatische Ehre verletzenden Gerüchten.
Auch Mary Grootmann hatte in jener Nacht die Stadt verlassen. Ohne allerdings zu ahnen, was sich in den letzten Wochen und an diesem letzten Abend tatsächlich ereignet hatte, hatte sie mit ihren Kindern den Nachtzug nach Essen und zu ihrer Familie genommen, um nie zurückzukehren. Sie hatte ihren Mann verlassen, weil sie die Rolle der sich blind und dumm stellenden Ehefrau nicht mehr ertrug, nachdem Christine von Edding bei einer Familienfeier freundlich aufgenommen worden war. Später hörte man, sie lebe mit den Zwillingen und ihrem zweiten Ehemann eine Tagesreise von Buenos Aires entfernt auf einer Hazienda und sei sehr glücklich.
Mit dem Verschwinden des ältesten Sohnes begann die Auflösung der Familie Grootmann. Lydia empfing keinen der sich in diesen Tagen zahlreich ankündigenden Besuche, es hieß, sie habe sich in ihr
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