Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Wochen eines Trauerjahres einer solchen Einladung, aber Wilhelmine hatte so strikt darum gebeten, es tatsächlich eingefordert, dass sie einen weißen Kragen auf das dunkle Kleid geknöpft und mit einer Droschke nach der Uhlenhorst gefahren war.
Nach der Stille des Hauses über der Elbe erschien ihr die Alstervilla wie ein summender Bienenstock. Die Tafel war hinter noch geschlossener Tür im Speisesaal gedeckt, die Gäste fanden sich zu Aperitif – Champagner mit oder ohne Brombeerlikör – und Geplauder im Grünen Salon, in der Bibliothek und im Musikzimmer ein. Alle Verbindungstüren waren weit geöffnet. Schon die leise Klaviermusik und weiches, dem Teint der Damen schmeichelndes Licht sorgten für eine gute Atmosphäre.
Hetty war ohne Begleitung erschienen, also nahm Claire sich gleich ihrer an. «Wie schön, dass du gekommen bist, meine Liebe, es ist gar nicht gut, Woche um Woche allein dort draußen zu sitzen, und dies ist wirklich ein kleines privates Dinner. Ganz inoffiziell, nur gute Freunde des Hauses. Ich werde dich vorstellen.» Sie schob ihren Arm unter den ihrer Cousine und führte sie in den Salon. «Bei Tisch», sagte sie nah an Hettys Ohr, «sollte eigentlich Herr Blessing neben dir sitzen, unser Prokurist, kennst du ihn überhaupt? Papa hält sehr große Stücke auf ihn. Aber nun wird Ernst dich zu Tisch führen. Er hat gerade Mary entschuldigt, die Arme ist wieder von einer schweren Migräne geplagt. Felix ist noch nicht da, er hat Grand-mère wissen lassen, er komme in Begleitung einer Dame, wir sind alle sehr gespannt.»
Während der nächsten halben Stunde sah Hetty freundliche und neugierige Gesichter, auch mitfühlende, jeder hier wusste um ihre Geschichte. Die Schwestern Cramer, Molly und Helene, wussten sogar von ihrem Besuch der Damenmalschule und luden sie vergnügt in ihr Haus ein, es sei nur wenige Minuten entfernt, aus der Stadt nehme sie am besten den Alsterdampfer. Die beiden erfolgreichsten Malerinnen der Stadt, wohlhabende Damen um die fünfzig, hatten immer gern die jungen Kollegen zu Gast, an den Wänden ihres Hauses hing eine ganze Galerie neuer Kunst.
Dr. Murnau war in Begleitung seiner ältesten Tochter gekommen, er freute sich, seine Patientin so gesund wiederzutreffen. Professor Brinkmann vom Museum für Kunst und Gewerbe, mit dem graumelierten zotteligen Bart und der Löwenmähne unübersehbar, stand mit dem Champagnerglas in der Hand neben seiner zweiten Gattin, die sich vergeblich bemühte, heiter auszusehen. Vielleicht ermüdete sie nur der kleine Vortrag über japanische Keramik, den der Professor gerade einer höflich lauschenden Damenrunde hielt. Eine der Damen war Mary.
«Da ist doch Mary», sagte Hetty leise. «Hast du nicht gesagt, Ernst habe sie entschuldigt?»
«Ach, du meine Güte. Gerade habe ich die Tischordnung umgestellt, jetzt muss ich von vorne … entschuldige mich, meine Liebe, ich muss sofort Mama suchen und in den Speisesaal.» Da war sie schon davongeeilt.
Und dann kamen die letzten Gäste, ein wirklich schönes Paar. Es wäre übertrieben zu sagen, ein Raunen sei durch den Salon gegangen, wo sich inzwischen die meisten Gäste beim Champagner versammelt hatten. Aber einige Gespräche erstarben, für eine Sekunde nur, niemand gab sich die Blöße offener Neugier.
«Wie interessant», raunte allerdings eine weibliche Stimme hinter Henrietta. «Wie überaus interessant. Die baltische Baronesse.»
«Feine Baronesse», antwortete eine zweite bissig. «Richtiger ist: die ausgehaltene Frau.»
Auch ohne sich umzudrehen, erkannte Hetty an der zweiten Stimme Emma.
Professor Brinkmann erklärte immer noch die Aktualität der Kunst Japans, allerdings hörten die Damen nicht mehr ganz so höflich zu, besonders eine hatte sich umgewandt und stand wie erstarrt. Mary war noch blasser als gewöhnlich, ihre Augen folgten Felix, der die junge Dame an seiner Seite seiner entzückten Grand-mère vorstellte, seinem Vater und einigen seiner überaus honorigen Freunde. Niemand, außer Mary und den beiden Stimmen in Hettys Rücken, nahm auch nur den geringsten Anstoß an Christine von Eddings Gegenwart. Sie wurde im Gegenteil freundlich, zumeist auch freudig begrüßt. Wenn Felix Grootmann eine junge Dame in das Haus seiner Eltern brachte und deren Freunden vorstellte, dazu eine waschechte Baronesse, gab es keinen Anlass zu Misstrauen. Felix mochte sich gern als Dandy und Filou geben, aber er stand im Ruf, die Grenzen zu kennen und einzuhalten.
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