Ein Gebet für die Verdammten
verstehen und ihm zu vertrauen. Er hat mich weder verstanden noch mir vertraut. Sogar er hat mich für schuldig gehalten am …«
Fidelma redete ihr begütigend zu. »Sogar der, den du geliebt hast, hat geglaubt, du seiest eines Mordes schuldig. Liebe macht oft blind und sieht die Dinge verzerrt. Allzuleicht verkehrt sich Liebe in Eifersucht und führt zu irrigen Vorstellungen.«
Schwester Marga fiel es schwer, Fidelmas Gedankengang zu folgen. So wiederholte sie einfach: »Ich fürchte mich vor Bruder Drón. Eher bringe ich mich um, als mich nach Cill Ria zurückschaffen zu lassen.«
»Du brauchst dich nicht vor Bruder Drón zu fürchten. Ich versichere dir, niemand wird dich gewaltsam in die Abtei Cill Ria schleppen. Wir sehen uns bald wieder.«
Fidelma ging und ließ das Mädchen verwirrt sitzen. Eadulf, der ihr gefolgt war, gab zu erkennen, daß er nicht weniger verwirrt war.
»Hast du irgend etwas Neues herausfinden können?«
»O doch«, erwiderte Fidelma lächelnd. »Jetzt müssen wir uns noch ein wenig mit Ultáns Truhe beschäftigen. Sie steht gut verwahrt im Schatzgewölbe meines Bruders.«
»Aber sie enthielt doch nichts von Interesse. Kleidungsstücke, Papiere, Aufzeichnungen von Ultáns Reisen als Abgesandter von Ard Macha … Fast nur Schriftkram.«
»Ja, eben«, erwiderte Fidelma. »Sobald ich mir die Sachen angesehen habe, können wir unser Brett zum
brandubh- Spiel
aufstellen.«
Mit der Bemerkung wußte Eadulf nun gar nichts anzufangen, und das war verständlich. Sie lachte vergnügt und hängte sich bei ihm ein.
»Die Große Halle wird das
brandubh- Brett
für unser Spiel sein. In der Mitte steht die Hauptfigur, unser Mörder, und den werden wir einkreisen und festsetzen.«
KAPITEL 20
Die große Halle von Cashel hätte weit mehr Menschen fassen können. Man war jedoch übereingekommen, daß nur die Würdenträger unter den Gästen und die unmittelbar Betroffenen der Anhörung beiwohnen sollten, inderen Verlaufeszur Klärung der Morde an Abt Ultán und Muirchertach Nár kommen würde. Zugegen waren also die Könige, ihre Mitregierenden aus dem Adel, ihre Richter und führenden Kirchenmänner, dazu die Stammesfürsten und Clanhäuptlinge der Eóghanacht, der Déisi und der Uí Fidgente. Barrán, der Oberste Richter der fünf Königreiche, saß auf dem Richterstuhl, ihm zur Linken der Hochkönig Sechnassach und ihm zur Rechten Colgú, König von Muman. Richter Ninnid hatte mürrisch und in sich gekehrt hinter König Fianamail von Laigin Platz genommen und war damit den Adligen und anderen Persönlichkeiten zugeordnet. Fidelma und Eadulf saßen schräg rechts vor den Richtern, und neben ihnen stand Caol in seiner Eigenschaft als Befehlshaber der Leibgarde. Seine Männer hatte er an entscheidenden Punkten in der Halle verteilt.
Bruder Drón und Schwester Sétach waren in Begleitung von Wachposten, während Schwester Marga gemeinsam mit Aíbnat, Abt Augaire, Dúnchad Muirisci, Rónán dem Fährtenleser, Della, Bruder Berrihert und seinen beiden Brüdern, Brehon Baithen und Bruder Conchobhar in der Zeugenbank saß. Trotz der stattlichen Personenzahl war der geräumige Saal nur halb besetzt.
Auf ein Zeichen von Brehon Barrán hin trat Colgús Verwalter vor die Versammelten. Dreimal stieß er mit seinem Stab auf die Erde und bat so um Ruhe. Dann wandte sich Brehon Barrán zu Fidelma.
»Bist du bereit, die Ergebnisse deiner Untersuchungen zu den anstehenden Fällen darzulegen?«
»Ich bin bereit«, erwiderte sie und erhob sich.
»Dann nimm das Wort.«
»In den vor uns liegenden Fällen haben wir über die Ermordung von zwei Männern zu befinden. Es handelt sich erstens um den Mord an Abt Ultán von Cill Ria, dem Abgesandten des Comarb des heiligen Patrick, und zweitens um den Mord an König Muirchertach Nár von Connacht …«
»Ich erhebe Einspruch«, wurde sie von einem Zwischenruf unterbrochen.
Zu ihrem Erstaunen war es Brehon Ninnid, der aufgestanden war. Selbst Brehon Barrán schien verwundert.
»Einspruch? Weswegen?« fragte er.
»Die gelehrte Anwältin gedenkt die Ermordung von Ultán, einem Abt, vor der Ermordung eines Königs, Muirchertach Nár, abzuhandeln. Das widerspricht dem gesellschaftlichen Status der Opfer.«
Im ersten Moment verstand Fidelma nicht recht, worauf er mit seinem Einwurf hinauswollte. Doch sogleich erfaßte sie es und entgegnete mit kühlem Lächeln: »Ich behandle die Fälle in der chronologischen Abfolge ihres Geschehens, nicht in der Rangfolge der
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