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Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Grimbert
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Gespräch mit ihrem Ehemann aufgegeben hatte, suchte sie sonntags abends in seiner Familie nach Ausgleich und erfreute sie mit ihren Anekdoten. In der übrigen Zeit rauchte sie eine Zigarette nach der anderen und wartete auf Kundschaft in ihrer Modeboutique bei der Metrostation Charonne.
    Meine Tante Elise und ihr Mann Marcel verkauften mitten in der Arbeitervorstadt Malakoff Berufsbekleidung, blaue Overalls, großkarierte Wollhemden, anthrazitgraue Kittel. Elise las viel, zitierte die großen Schriftsteller und Dichter und vertrat während der wöchentlichen Familienzusammenkunft mit großer Entschiedenheit ihre marxistischen Ansichten.

    Manchmal verbrachte ich einige Ferientage bei Martha, die nun im nahen Speckgürtel von Paris wohnte. Mollig und naschhaft wie sie war, verwöhnte sie mich nach Herzenslust, und dabei funkelten die Augen hinter ihren dicken Brillengläsern. Lange Zeit dachte ich, in ihrer Straße würden die Großmütter sämtlicher Pariser Kinder wohnen. Um den Besuch ihrer Enkel zu feiern, bereiteten sie ihnen dieselben Süßigkeiten zu, banden sich dieselben Schürzen um und trugen dieselben hübschen, toupierten Frisuren.

    Am liebsten war mir aber Louise, auch wenn sie nicht zu unserer Familie gehörte. Vielleicht spürte ich, daß unser Einvernehmen tiefer gründete als die familiären Bande. So herzlich meine Onkel, Tanten und Großeltern auchsein mochten, eine unsichtbare Schranke sorgte für eine gewisse Distanz zwischen ihnen und mir, die keine Fragen zuließ und jede Vertraulichkeit ausschloß. Wie in einem Geheimbund, der durch eine unmögliche Trauer zusammengehalten wurde.

Wenn ich nachmittags bei Louise war, erzählte sie mir im Halbdunkel ihrer Praxis ausführlich von den Ereignissen während des Krieges, der einige Jahre vor meiner Geburt geendet hatte. Sie war unerschöpflich: Niemand dürfe jemals die Ängste und Demütigungen der Verfolgten vergessen. Lange Zeit verheimlichte sie mir, daß auch sie zu den Verfolgten gehört hatte. Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr respektierte Louise das Geheimnis, das meine Eltern um mich errichtet hatten und das sie selbst einschloß. Vielleicht wartete sie auf ein Zeichen, bevor sie mir mehr darüber verriet. Ein Wort, eine Anspielung von mir, die es erlaubt hätte, das Tor ein wenig zu öffnen.

    Eines Abends wurde im Fernsehen ein Film über jene Zeit gezeigt. Mein Vater hatte sich in den Turnraum zurückgezogen, weil er die Bilder nicht ertragen konnte. Der Aufprall seiner Hanteln, das Pfeifen seines Atems übertönten die Befehle, die in einer Sprache gebellt wurden, die er nicht mehr hören konnte. Ich blieb mit meiner Mutter allein auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzen. Sie war stummer denn je. An wen dachte sie? Wortlos verfolgten wir den Schwarzweißspielfilm: Bauten, die in einem Filmstudio nachgebildet waren, Schauspieler in Uniformen, in umzäunten Bereichen versammelte Statisten. Gebannt starrte ich auf diese entkleideten, sich aneinanderdrückenden Körper, ich konnte die Augen nicht mehr abwenden von den Frauen, die ihre Brüste bedeckten, den Männern, die ihre Hände über dem Geschlechtzu einer Muschel formten, während sie im Gänsemarsch durch die Kälte gingen, um zu dem Gebäude mit den Duschen zu gelangen. Es waren die ersten Nackten auf einem Bildschirm, die ich betrachten durfte, bleiche Flecken, die gegen den grauen Hintergrund der Baracken abstachen. Da ich nur zu gut wußte, was ich mit diesen Bildern anstellen würde, sobald ich in meinem Zimmer allein sein würde, verweilte mein Blick lange auf diesen bereits entwürdigten Körpern.

Ich hatte die Grundschule beendet und ging aufs Collège in meinem Viertel. Ich betrachtete es als meine Pflicht, ein sehr guter Schüler zu sein, und ich schaffte es immer, unter die Besten zu kommen. Aus medizinischen Gründen vom Turnunterricht befreit, verbrachte ich die Turnstunden im Aufenthaltsraum und steckte die Nase in meine Bücher. Durch das Fenster sah ich, wie sich die anderen beim Ringen packten, wie sie im Pulk dem Ball hinterherjagten, ich hörte ihr Geschrei, ihren Jubel, wenn ein Tor fiel. Ebenso stark, ebenso unerbittlich wie mein Bruder legten sie ihre Gegner aufs Kreuz, während ich meine Hühnerbrust über den Schultisch beugte.
    Die Tage vergingen alle unterschiedslos, und Nacht für Nacht führte ich mein Schattentheater auf. Bis zu dem Ereignis, das zum Wendepunkt in meinem Leben werden sollte, wuchs ich in vollkommen geregelten Verhältnissen auf.

Ich war

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