Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
Flippo hoch. Wie betäubt hängt er zwischen ihnen. Der Anführer der Polizisten sagt, die Worte nur so herunterrasselnd: »Schuldig der verwerflichen Tat eines tätlichen Angriffs auf eine Frau in ihren fruchtbaren Jahren, die ungeborenes Leben trägt; gefährlicher antisozialer Tendenzen, der Bedrohung von Harmonie und Stabilität; kraft der mir übertragenen Autorität verfüge ich das Urteil der Auslöschung, das sofort vollzogen wird. Werft diesen Bastard in den Schacht hinab, Jungs!« Sie schleppen den Flippo weg. Ärzte erscheinen und versammeln sich um die zu Boden gestürzte Frau. Die Kinder kehren freudig singend in ihren Unterrichtsraum zurück. Nicanor Gortman wirkt bestürzt und erschüttert. Mattern ergreift seinen Arm und flüstert erregt: »Es ist alles in Ordnung, so etwas geschieht manchmal. Ich bestreite es gar nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit war eine Milliarde zu eins, daß so etwas ausgerechnet vor Ihren Augen passieren würde! Das ist nicht typisch! Das ist nicht typisch!«
Sie betreten den Unterrichtsraum.
Die Sonne geht unter. Die Westfront des benachbarten Urban Monad ist mit einem leuchtenden Rot überzogen. Nicanor Gortman nimmt schweigend am Abendessen der Familie Mattern teil. Die Kinder unterhalten sich, wild durcheinanderschnatternd, über ihren heutigen Schultag. Der Bildschirm bringt die Abendnachrichten; der Ansager erwähnt auch den unglücklichen Zwischenfall auf der 108. Ebene.
»Die Mutter ist nicht ernsthaft verletzt worden«, sagt er, »und ihrem Kind ist nichts geschehen. Die Verurteilung des Angreifers ist sofort vollstreckt worden, eine Gefahr für den ganzen Urbmon ist damit beseitigt worden.«
»Segne Gott«, murmelt Prinzipessa. Nach dem Essen läßt sich Mattern von der Datenempfangsanlage seine neuesten Arbeitspapiere ausgeben und überreicht den ganzen Stapel Gortman, damit er sich ansehen kann, was ihn interessiert. Gortman dankt ihm lebhaft.
»Sie sehen müde aus«, sagt Mattern.
»Es war ein anstrengender Tag. Aber es hat sich gelohnt.«
»Ja. Wir sind wirklich auf Grund gestoßen, nicht wahr?«
Mattern fühlt sich ebenfalls müde. Sie haben schon mehr als drei Dutzend Etagen besucht; er hat Gortman Stadtversammlungen, Fruchtbarkeitskliniken, kirchliche Veranstaltungen und Büroräume gezeigt, alles an diesem ersten Tag. »Morgen wird es noch viel mehr zu sehen geben. Urban Monad 116 ist eine vielseitige, komplexe Gemeinschaft. Und eine glückliche, wie Mattern mit Überzeugung feststellt. Es gibt kleine Zwischenfälle von Zeit zu Zeit, gewiß, aber wir sind glücklich.«
Die Kinder legen sich eins nach dem andern zum Schlafen nieder, nicht ohne sich vorher mit bezaubernden Gutenachtküssen von Daddo und Mommo und dem Besucher zu verabschieden. Die süßen nackten kleinen Dinger begeben sich zu den Kinderbetten, und die Helligkeit der Lampen dämpft sich automatisch. Mattern fühlt sich leicht bedrückt; dieser unangenehme Vorfall auf 108 hat den ansonsten wunderbaren Tag etwas gestört. Er glaubt dennoch, daß es ihm gelungen ist, Gortman dabei zu helfen, über die oberflächlichen Dinge hinaus die der Lebensweise in den Urbmons innewohnende Harmonie und heitere Ruhe zu erkennen. Und jetzt will er es seinem Gast überlassen, ihre wirkungsvollste Technik zur Minimalisierung der zwischenpersonellen Konflikte zu erfahren, die für ihre Art von Gesellschaft so gefährlich sein könnten. Mattern erhebt sich.
»Die Zeit des Nachtwandeins beginnt«, sagt er. »Ich werde jetzt gehen. Sie bleiben hier… mit Prinzipessa.« Er nimmt an, daß sein Besucher es zu schätzen wissen wird, mit ihr allein zu sein.
Gortman sieht unbehaglich drein.
»Lassen Sie sich gehen«, sagt Mattern. »Genießen Sie. Vergnügen Sie sich. Wenn jemand sein Vergnügen haben will, so wird ihm das hier niemals verweigert. Wir jäten die Selbstsüchtigen schon frühzeitig aus. Was mein ist, soll auch Ihnen gehören. Stimmt das nicht, Prinzipessa?«
»Aber ja«, sagt sie.
Mattern verläßt den Raum, geht schnell den Korridor hinunter, betritt den Fall-Lift und schwebt zur 770. Ebene hinab. Als er ihn wieder verläßt, hört er plötzlich in der Nähe wilde Schreie, und er hält inne in der Furcht, in einen weiteren unangenehmen Zwischenfall verwickelt zu werden, aber nichts geschieht. Er geht weiter, kommt an der schwarzen Türöffnung eines Schachtzugangs vorbei, und es überläuft ihn kalt, als er an den jungen Mann mit dem Schweißbrenner denken muß und was aus ihm geworden ist.
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