Killing for Love: Thriller (German Edition)
Prolog
D a war es wieder, dieses merkwürdige Geräusch. Das musste der Wind sein. Was sonst? Höchstens noch irgendein wildes Tier, ein Waschbär, ein Opossum oder ein streunender Hund. Die Bären hielten in dieser Jahreszeit Winterschlaf.
Reiß dich zusammen! Deine Phantasie geht mit dir durch. Da draußen ist niemand. Wer wäre schon so blöd, nachts mitten in den Wald zu kommen, um dich zu erschrecken?
Deans klapperdürre Hand zitterte, als er den karierten Vorhang zurückzog und durch das schmutzige Fenster nach draußen in die Dunkelheit linste. Der Viertelmond zwinkerte ihm hämisch durch eine dünne Wolkendecke zu, als wüsste er etwas, von dem Dean nichts ahnte. Bedrohlich säuselte der kalte Wind. Wollte er ihn warnen?
Er ließ den Vorhang los und rieb sich die Hände, was sie gleichermaßen wärmen wie ihr Zittern eindämmen sollte. Jetzt hätte er verdammt gut einen Drink gebrauchen können! Oder etwas Härteres, das schneller wirkte. Aber er hatte gelernt, sich mit starkem Kaffee abzufinden. Ein Koffeinrausch war besser als gar keiner. Seit drei Jahren war er clean und nüchtern, und er hatte ganz gewiss nicht vor, sich seine sauer verdiente Freiheit von Drogen und Alkohol durch ein paar dämliche Briefe kaputt machen zu lassen.
Vergiss die verfluchten Briefe! Sie sind nur ein blöder Scherz von irgendeinem Kranken.
Es gab Dinge, die er tun sollte: das Feuer nachschüren, das er im Kamin entzündet hatte, die Vorräte überpüfen, die Kaffeemaschine für morgen früh vorbereiten, mehr Holz hereinholen, die Etagenbetten beziehen. Dean wollte, dass alles bereit war, wenn sein Bruder kam. Jared reiste den weiten Weg von Knoxville hierher, wo er Biologie an der University of Tennessee unterrichtete, und er würde irgendwann morgen Vormittag hier sein, sofern alles nach Plan verlief, so dass sie das Wochenende gemeinsam verbringen konnten. Es war das erste Mal seit Teenagertagen, dass sie sich zusammen in der Hütte der Familie in den Smoky Mountains aufhielten.
Gott, war das eine Ewigkeit her! Jared war inzwischen achtundvierzig, verwitwet und hatte zwei erwachsene Söhne. Deans Bruder war so erfolgreich, wie er es nie sein würde. Denn Dean war ein Versager. Er war viermal verheiratet gewesen und viermal geschieden worden. Eines allerdings hatte er richtig gemacht, nämlich dass er seines Wissens nie ein Kind zeugte.
Als er den Schürhaken nahm, der an der Steinwand lehnte, blickte er zu der Uhr auf dem Kaminsims auf, die einst seinen Großeltern gehört hatte. Drei Minuten vor zwölf. Er sollte müde sein, war es aber nicht. Dabei war er erst heute von L.A. aus hergeflogen und in einem Mietwagen vom Flughafen hier heraufgefahren.
Jared hatte ihm das Flugticket zugesandt. Sein Bruder vertraute ihm nicht genug, um ihm das Geld zu schicken. Wie sollte er auch? Früher hätte Dean Bargeld sofort in Drogen umgesetzt. Deshalb machte er Jared keinen Vorwurf. Dean hatte nichts unternommen, um sich irgendjemandes Vertrauen zu verdienen. Er mochte clean und nüchtern sein, aber ihm war durchaus klar, dass es nicht viel brauchte, damit er wieder abstürzte. Sobald etwas passierte, etwas, mit dem er nicht umgehen konnte, würde er sich vielleicht den einfacheren Ausweg suchen. Das hatte er dauernd gemacht.
Waren Todesdrohungen im Briefkasten etwas, womit er nicht umgehen konnte?
Dean schürte das Feuer, stellte den Haken zurück und ging zur Küche, um die Kaffeemaschine zu befüllen. Auf halbem Weg durch das große Wohnzimmer der Hütte hörte er wieder dieses nervtötende Geräusch. Es klang wie Schritte auf trockenem Laub. Er erstarrte und horchte.
Stille.
Sein Herz raste, seine Hände schwitzten, und ein Schauer überkam ihn, während er überlegte, ob er die Flinte seines Großvaters aus dem Schrank holen sollte. Sein Dad hatte immer eine Schachtel mit Patronen im oberen Fach des Schranks aufbewahrt, weit außer Reichweite, als er und Jared noch klein gewesen waren. Aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass er dort tatsächlich noch jene Schachtel fand?
Er hätte gleich zur Polizei gehen sollen, als er den ersten Brief bekam. Stattdessen hatte er gewartet und sich bei jedem Brief eingeredet, dass er der letzte wäre. Im Laufe der letzten paar Monate waren insgesamt vier dieser kurzen Nachrichten eingetroffen, und jede von ihnen hatte gleich angefangen: Mitternacht naht.
Was zum Teufel sollte das heißen? Mitternacht wurde es alle vierundzwanzig Stunden, oder?
Dean ging in das größere der
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