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Ein Grieche im 7. Himmel

Ein Grieche im 7. Himmel

Titel: Ein Grieche im 7. Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Folsom
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trat hindurch und erblickte dahinter den echten Fluss Styx. Dies war die Wasserstraße, die jede Seele überqueren musste, um die Unterwelt zu betreten und dort ein neues Leben anzufangen. Aber der Fluss war heimtückisch, die Strömung zu stark, um hindurchzuwaten oder hinüberzuschwimmen. Die einzige Weise, wie eine verdammte Seele oder ein Gott den Fluss überqueren konnte, war mit der Fähre. Das galt für alle außer für Hermes: Mit seinen geflügelten Sandalen konnte er über den Fluss fliegen. Eine Tatsache, die er nicht vor den wartenden Seelen zur Schau stellen wollte. Es würde nur Hohn und Spott zu ihrem Leid hinzufügen. Und das wollte er ihnen nicht antun.
    Mit Entsetzen schaute er auf die lange Schlange, die sich gebildet hatte und von dort, wo er stand, bis zur Anlegestelle der Fähre reichte. Er hatte noch nie so eine lange Schlange gesehen, nicht einmal in Zeiten von Krieg, Pest oder Hungersnot. Nicht einmal dann hatten so viele Seelen auf Einlass gewartet.
    Das konnte nur eines bedeuten: Zeus‘ Prophezeiung war eingetroffen. Die Fährmänner streikten. Seufzend ging Hermes am Ende der Schlange vorbei. Vielleicht könnte er mit den Arbeitern reden und den Streit schlichten. Das würde allen einen Haufen Ärger ersparen. Vielleicht müsste er dann Zeus‘ Vertrag gar nicht Hades überbringen. Und wenn Zeus sah, was er gemacht hatte, dass er die Initiative ergriffen hatte, würde dieser vielleicht erkennen, dass Hermes doch nicht der Versager war, für den er ihn hielt.
    „Weißt du, wer das ist?“, fragte eine Seele eine andere.
    „Nein, wer?“
    „Er ist der Fährmann.“
    „Wer?“, fragte die andere Seele.
    „Du weißt doch, Hermes, der Gott, der die Seelen über den Styx bringt.“ Die Seele, die ihn erkannt hatte, ein Mann von etwa fünfundvierzig Lebensjahren, trat einen Schritt auf ihn zu. „Sie sind hier, um uns über den Fluss zu bringen, stimmt‘s?“
    Hermes bestätigte die Frage mit einem Nicken. „Ich habe die Aufgabe delegiert.“
    „Aber Sie sind der Fährmann“, beharrte der Mann und lenkte mit seiner immer lauter werdenden Stimme mehr Aufmerksamkeit auf Hermes. Mehrere Seelen nahmen Notiz und drehten ihre Köpfe, um die Unterhaltung zu verfolgen.
    „Wie ich schon sagte, ich habe die Arbeit delegiert. Die Sache ist in fähigen Händen.“ Nun ja, nicht einmal Hermes glaubte das. Es war sehr schwer gewesen, Arbeiter zu finden, die die Aufgabe übernehmen wollten, verzweifelte Seelen über den Fluss zu setzen. Er hatte es überall ausgeschrieben, und am Ende waren die Einzigen, die sich für diese Stelle beworben hatten, die Griechen gewesen. Er hatte keine andere Wahl gehabt, als sie einzustellen.
    „In fähigen Händen?“, spottete der Mann. „Genau! Sieh sie dir an, sie streiken schon wieder!“
    „Ja“, stimmte eine andere Seele zu. „Das ist alles, was sie machen: Entweder machen sie Pause oder sie streiken.“
    Hermes stöhnte, als er die Unzufriedenheit bemerkte, die sich unter ihnen immer weiter auszubreiten schien. „Ich werde das regeln“, versprach er und eilte an ihnen vorbei. Gleichzeitig hoffte er, dass ihn niemand anderer in der Schlange erkannte.
    Als die Schlange um eine Ecke bog, kollidierte er fast mit einem Karren.
    „Churros!“, rief ein Mexikaner und hielt die mit Zucker überzogene, frittierte Teigstange nach oben. „Heiße Churros!“
    Einige Seelen scharten sich um ihn und zahlten ihm Geld für diese cholesterinhaltige, Herzinfarkt verursachende Versuchung.
    „Ich denke, das ist jetzt wohl egal“, murmelte Hermes in sich hinein. Keine der Seelen müsste sich noch Sorgen um ihr Gewicht oder verstopfte Arterien machen. Niemand konnte in der Unterwelt sterben. Wenn man erst einmal dort war, war alles so ziemlich vorbei. Was aber nicht bedeutete, dass alles von nun an einfach wäre. Die Sterblichen nannten es nicht umsonst die Hölle. Und Hades hatte eine spezielle Abteilung, die sich immer neue Sachen einfallen ließ, um die Seelen leiden zu lassen und sie bei der Stange zu halten. Beibehaltungsabteilung nannte er sie.
    „Eis!“, hörte er eine andere Stimme ausrufen. „Eis! Tiramisu! Bene, bene! “ Die Stimme gehörte einem Italiener, der mit einer großen Tonne vor seinem Bauch, Waffeltüten in einem Beutel an der Seite baumelnd und einem Eislöffel in seiner Hand an den wartenden Seelen entlangging. Er hatte keine Probleme, Abnehmer für seine Ware zu finden. Es wurde von Minute zu Minute heißer, und so wie es aussah, standen die

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