Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
kannst, nicht mehr zu spielen.«
»Hätten Sie mir das doch früher gesagt! Auch jetzt reden Sie irgendwie apathisch.«
»Wenn ich es früher gesagt hätte, hätten wir uns nur überworfen, und du hättest mich nicht so gern abends bei dir gesehen. Und merk dir, mein Lieber, daß alle vorzeitig erteilten heilsamen Ratschläge nichts anderes als ein Eindringen in ein fremdes Gewissen auf fremde Kosten sind. Ich habe mich oft genug in das Gewissen anderer Menschen vorgewagt und zu guter Letzt nichts als Nasenstüber und Hohn geerntet. Nasenstüber und Hohn kann man vergessen, das ist klar, die Hauptsache aber ist, daß man mit diesem Manöver nichts erreicht: Niemand folgt dir, wie tief du dich auch vorwagst … und alle mögen dich nicht mehr.«
»Ich bin froh, daß Sie nicht länger mit mir über Abstracta reden. Ich möchte Sie noch etwas fragen, schon lange. Aber jedes Mal klappt es mit Ihnen irgendwie nicht. Günstig, daß wir jetzt auf der Straße sind. Wissen Sie noch, der Abend bei Ihnen, der letzte Abend vor zwei Monaten, als wir beide in meinem ›Sarg‹ saßen und ich Sie über Mama und Makar Iwanowitsch ausfragte, erinnern Sie sich, daß ich mich damals Ihnen gegenüber völlig ›ungezwungen‹ gab? Hätte man das zulassen dürfen, daß ein Milchbart von Sohn sich in solchen Ausdrücken über seine Mutter ergeht? Aber wie? Sie haben nicht die Miene verzogen: Im Gegenteil, Sie haben sich selbst gehenlassen und mich dadurch noch ›ungezwungener‹ gemacht.«
»Es tut mir äußerst wohl, mein Freund, von dir so etwas zu hören … Von solchen Gefühlen … Ja, ich weiß noch, ich hatte tatsächlich darauf gewartet, daß dein Gesicht Farbe bekommt, und habe, selbst wenn ich Öl ins Feuer gegossen habe, es vielleicht auch deshalb getan, um dich bis an die Grenze zu bringen …«
»… und haben mich damals nur hintergangen und den reinen Quell meiner Seele noch weiter getrübt! Ja, ich bin ein erbärmlicher grüner Junge und weiß jeden Augenblick nicht, was gut und was böse ist. Hätten Sie mir damals wenigstens die Handbreit eines Weges gezeigt, ich hätte sofort verstanden und wäre sofort, mit einem Satz, auf dem rechten Weg gewesen. Aber Sie haben mich damals nur in Rage gebracht.«
»Cher enfant, ich habe immer das Gefühl gehabt, daß wir beide, so oder so, uns näherkommen würden: Diese ›Farbe‹ im Gesicht hast du jetzt von selbst bekommen, auch ohne mein Zutun, und das ist, ich schwöre es, das beste für dich … Du, mein Lieber, hast in letzter Zeit, wie ich bemerke, dir manches angeeignet … Doch nicht durch den Umgang mit diesem Fürstchen?«
»Loben Sie mich nicht, das kann ich nicht leiden. Wecken Sie in meinem Herzen nicht den schweren Verdacht, Sie lobten mich jesuitisch, auf Kosten der Wahrheit, nur um mir weiter zu gefallen. Aber in letzter Zeit … war ich viel mit Frauen zusammen. Ich bin sehr gut aufgenommen worden, zum Beispiel bei Anna Andrejewna. Wissen Sie das?«
»Das habe ich auch von ihr erfahren. Ja, sie ist – sehr reizend und gescheit. Mais brisons-là, mon cher. Mir ist heute alles irgendwie eigentümlich zuwider – ob das Hypochondrie ist? Ich schreibe es meinen Hämorrhoiden zu. Wie sieht es zu Hause aus? Nichts Besonderes? Du hast dich dort selbstverständlich versöhnt, man hat sich umarmt? Cela va sans dire . Zuweilen ist es richtig traurig, zu ihnen zurückzukehren, sogar nach einem noch so unerfreulichen Spaziergang. Wirklich, manchmal mache ich einen Umweg im Regen, nur um noch eine Weile nicht in diesen Schoß zurückzukehren … Und diese Langeweile, diese ewige Langeweile, oh, mein Gott!«
»Mama …«
»Deine Mutter – ist das vollkommenste und entzückendste Wesen, mais … Kurz, ich bin ihrer aller wahrscheinlich nicht wert. Übrigens, was haben sie heute? Sie sind alle, eine wie die andere, in den letzten Tagen irgendwie … Ich bemühe mich, weißt du, alles zu ignorieren, aber heute hat sich bei ihnen irgendein Knoten geschürzt … Ist dir nichts aufgefallen?«
»Ich weiß gar nichts, und es wäre mir überhaupt nichts aufgefallen, wenn nicht diese verflixte Tatjana Pawlowna da wäre, die es nicht lassen kann, immer wieder zuzuschnappen. Sie haben recht: Dort ist irgend etwas los. Vorhin habe ich Lisa bei Anna Andrejewna getroffen; auch dort war sie schon irgendwie … ich mußte mich über sie sogar wundern. Sie wissen doch, daß sie von Anna Andrejewna empfangen wird?«
»Ich weiß es, mein Freund. Und du … wann
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