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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Kopeken, es bittet ein Leutnant. Es bittet ein Leutnant a.D.!« Plötzlich war vor uns ein großgewachsener Mann aufgetaucht, vielleicht wirklich ein verabschiedeter Leutnant. Es fiel auf, daß er für sein Gewerbe sogar sehr gut gekleidet war und trotzdem seine Hand um Almosen ausstreckte.
    III
    Diesen nichtssagenden Zwischenfall mit dem nichtssagenden Leutnant möchte ich mit Bedacht nicht übergehen, denn jetzt steht mir der ganze Werssilow nicht anders vor Augen als mit den kleinsten Einzelheiten des damals für ihn verhängnisvollen Augenblicks. Verhängnisvoll – und ich habe es nicht geahnt!
    »Wenn Sie, mein Herr, uns weiter belästigen, werde ich unverzüglich die Polizei rufen!« herrschte ihn Werssilow mit irgendwie unnatürlich erhobener Stimme an und blieb vor dem Leutnant stehen.
    Ich hätte mir nie einen solchen Zornesausbruch von solch einem Philosophen, aus einem solch nichtigen Grund vorgestellt, zumal wir in unserem Gespräch an der nach seinen eigenen Worten interessantesten Stelle unterbrochen worden waren.
    »Ist es denn möglich, daß Sie nicht einmal eine Fünfzehn-Kopeken-Münze haben?« fuhr uns der Leutnant grob an und winkte ab. »Aber welche Kanaille hat heute schon fünfzehn Kopeken übrig! Schurke! Trägt einen Biberpelz und macht aus fünfzehn Kopeken eine Staatsaktion!«
    »Schutzmann!« rief Werssilow.
    Aber er brauchte gar nicht zu rufen: Der Schutzmann stand gerade an der Ecke und hatte das Schimpfen des Leutnants selbst gehört.
    »Ich ersuche Sie, eine Beleidigung zu bezeugen; und Sie folgen mir bitte aufs Revier«, sagte Werssilow.
    »Ach was, das ist mir egal, Sie können mir nichts! Vor allem können Sie nicht beweisen, daß Sie Grips haben!«
    »Lassen Sie sich auf nichts ein, Schutzmann, und begleiten Sie uns«, schloß Werssilow nachdrücklich.
    »Müssen wir denn wirklich aufs Revier? Der Teufel soll ihn holen!« flüsterte ich ihm zu.
    »Unbedingt, mein Lieber. Diese Unverschämtheit auf unseren Straßen überschreitet die Grenzen des Erträglichen, und wenn jeder seine Pflicht erfüllt, wird es für alle ein Gewinn sein. C’est comique, mais c’est ce que nous ferons .«
    Etwa hundert Schrittweit gab sich der Leutnant sehr empört, war guten Mutes und tapfer; er wiederholte, daß es »so nicht geht«, daß es sich »um eine Fünfzehn-Kopeken-Münze« handle usf. usf. Aber schließlich wandte er sich an den Schutzmann und flüsterte ihm etwas zu. Der Schutzmann, ein vernünftiger Mann und offensichtlicher Feind von Nervosität auf der Straße, war wohl auf seiner Seite, wenn auch nur in Grenzen. Er murmelte ihm halblaut auf seine Frage zu, daß es »jetzt schon zu spät« sei, daß »die Sache ihren Lauf genommen« habe und »wenn Sie sich beispielsweise entschuldigen und der Herr bereit wäre, die Entschuldigung anzunehmen, dann könnte man vielleicht …«
    »Na ja, Moment, mein Herr, überlegen Sie mal, wohin gehen wir? Ich frage Sie: Wohin eilen wir, und wo ist dabei der Witz?« tönte der Leutnant überlaut. »Wenn ein vom Mißgeschick verfolgter Pechvogel sich bereit erklärt, eine Entschuldigung hervorzubringen … wenn Sie schließlich auf seine Erniedrigung Wert legen … Zum Kuckuck, wir sind hier doch nicht in einem Salon, sondern auf der Straße! Und auf der Straße ist auch eine solche Entschuldigung ausreichend …«
    Werssilow blieb stehen und brach plötzlich in lautes Lachen aus; ich dachte sogar, daß er diese ganze Geschichte nur aus Spaß inszeniert hätte, aber so war es nicht.
    »Ihre Entschuldigung reicht mir vollkommen aus, Herr Offizier, und ich versichere Ihnen, daß Sie nicht unbegabt sind. Verfahren Sie ebenso in einem Salon – bald wird es auch für einen Salon vollkommen ausreichen, aber einstweilen zwei Zwanziger, hier, trinken Sie und stärken Sie sich; entschuldigen Sie, Schutzmann, die Belästigung, ich würde mich gern auch bei Ihnen erkenntlich erweisen, aber bei Ihnen herrschen jetzt so vornehme Sitten … Mein Lieber«, wandte er sich zu mir, »hier gibt es ein kleines Lokal, eigentlich eine gräßliche Kloake, aber man bekommt dort einen Tee, und ich möchte es dir vorschlagen … nur ein paar Schritte, laß uns gehen.«
    Ich wiederhole, noch nie hatte ich ihn in einer solchen Erregung gesehen, obwohl sein Gesicht heiter war und regelrecht strahlte; aber ich hatte bemerkt, daß seine Hände, als er die zwei Zwanziger aus seinem Portemonnaie nahm, um sie dem Offizier zu überreichen, zitterten und die Finger ihm gar nicht

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