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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Andrejew verstummte, aber nicht für lange; er hatte es auf etwas anderes angelegt. Am übernächsten Tisch, etwa fünf Schritt entfernt, speisten zwei Herren, die sich sehr lebhaft unterhielten. Beide mittleren Alters und beide von außerordentlich delikaten Manieren. Der eine großgewachsen und sehr beleibt, der andere – ebenfalls sehr beleibt, aber klein. Sie sprachen polnisch über die aktuellen Pariser Ereignisse. Der dadais hatte sie schon lange interessiert beobachtet und ihnen zugehört. Den kleinen Polen hielt er offensichtlich für eine komische Figur, die sofort seinen Haß geweckt hatte, nach Art aller galle- oder leberleidenden Menschen, deren Haß immer plötzlich und sogar ohne konkreten Anlaß aufflackert. Plötzlich ließ der kleine Pole den Namen des Deputierten Madier de Montjeau fallen, aber nach der Gewohnheit sehr vieler Polen sprach er ihn polnisch aus, das heißt mit der Betonung auf der vorletzten Silbe, so daß er nicht wie Madiér de Monjeáu klang, sondern wie Mádier de Móntjeau. Das war genau das, was der dadais brauchte. Er drehte sich zu dem Polen um, nahm eine gravitätische Haltung an und sagte plötzlich laut und deutlich, als wende er sich mit einer Frage an sie:
    »Mádier de Móntjeau?«
    Die Polen drehten sich wütend nach ihm um.
    »Was wünschen Sie?« rief drohend der große, dicke Pole auf russisch. Der dadais wartete.
    »Mádier de Móntjeau?« wiederholte er plötzlich so laut, daß es im ganzen Saal hallte, ohne jede weitere Erklärung, genau so, wie er kürzlich vor der Wohnungstür sinnlos wiederholt und sich langsam auf mich zubewegt hatte: Dolgorowky? Die Polen sprangen von ihren Stühlen auf, Lambert ebenfalls, er stürzte sich zuerst auf Andrejew, ließ ihn aber sitzen, eilte zu den Polen und überschüttete sie mit untertänigsten Entschuldigungen.
    »Possenreißer, Pane , Possenreißer!« wiederholte verächtlich der kleine Pole, der vor Zorn mohrrübenrot geworden war. »Bald wird unmöglich hierherkommen!« Der Saal wurde unruhig, man hörte ebenfalls Murren, aber mehr Lachen.
    »Kommen Sie … bitte … lassen Sie uns gehen!« murmelte Lambert völlig hilflos, bemüht, Andrejew aus dem Saal zu führen. Jener, nach einem prüfenden Blick auf Lambert überzeugt, daß er ihm jetzt Geld geben würde, erklärte sich bereit, ihm zu folgen. Wahrscheinlich hatte er mehr als einmal mit solch schamlosen Methoden Lambert Geld abgelockt. Trischatow wollte den beiden schon nachlaufen, sah mich aber an und blieb.
    »Ach, wie abscheulich!« sagte er und bedeckte die Augen mit seinen dünnen Fingerchen.
    »Sogar sehr abscheulich, wenn’s beliebt«, flüsterte der Pockennarbige, der diesmal verärgert dreinschaute. Inzwischen kehrte Lambert zurück, fast kreidebleich, und begann mit lebhaften Gesten, dem Pockennarbigen etwas zuzuflüstern. Dieser hatte inzwischen den Lakaien angewiesen, möglichst schnell den Kaffee zu servieren; er hörte angewidert zu; er wünschte offenbar, möglichst bald zu gehen. Und doch war diese Geschichte nichts anderes als ein einfacher Schulbubenstreich. Trischatow wechselte mit seiner Tasse Kaffee von seinem Platz zu mir herüber und setzte sich an meine Seite.
    »Ich habe ihn sehr gern«, begann er so offenherzig, als hätte er schon immer mit mir darüber gesprochen.
    »Sie werden es nicht glauben, wie unglücklich Andrejew ist. Er hat die Mitgift seiner Schwester verjubelt, ja, er hat alles verpraßt und vertrunken, was sie hatten, in dem einen Jahr, während er diente, und ich sehe, daß er sich jetzt quält. Er wäscht sich nicht – aus Verzweiflung. Er hat überhaupt furchtbar sonderbare Gedanken: Er kann zum Beispiel behaupten, daß ein Schuft und ein Ehrenmann dasselbe sind, ohne Unterschied; und daß man gar nichts tun soll, weder Gutes noch Schlechtes, oder auch das Gegenteil – man darf sowohl Gutes als auch Schlechtes tun, am besten aber solle man daliegen, ohne sich auszuziehen, monatelang saufen und essen und schlafen – das sei alles. Aber glauben Sie, das sagt er nur so. Und, wissen Sie, ich denke sogar, daß er sich nur deswegen so benommen hat, weil er beabsichtigt, mit Lambert endgültig Schluß zu machen. Das hat er erst gestern gesagt. Glauben Sie, daß er gelegentlich in der Nacht oder wenn er eine Weile allein ist zu weinen beginnt? Und, wissen Sie, wenn er weint, dann klingt es ganz besonders, wie niemand sonst weinen kann; er heult, wissen Sie, er heult ganz entsetzlich, und das ist, wissen Sie, noch

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