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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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trinken – erinnern Sie sich an die Stelle am Ende, wie die beiden, dieser verrückte alte Mann und dieses entzückende dreizehnjährige Mädchen, seine Enkelin, nach ihrer phantastischen Flucht und ihren Wanderungen sich endlich irgendwo am Rande Englands niederlassen, unmittelbar neben einem gotischen mittelalterlichen Dom, und wie dieses Mädchen dort irgendein Amt zugewiesen bekommt und die Besucher durch den Dom führt … Und einmal geht gerade die Sonne unter, und dieses Kind steht in der Vorhalle des Doms, von den letzten Sonnenstrahlen ganz übergossen, es steht da und schaut in den Sonnenuntergang mit der stillen, nachdenklichen Kontemplation einer Kinderseele, einer staunenden Seele, als stehe es vor einem Rätsel, denn sowohl das eine als auch das andere sind ja Rätsel – die Sonne als der Gedanke Gottes und der Dom als der Gedanke des Menschen … nicht wahr? Ach, ich kann es nicht richtig ausdrücken, aber Gott liebt gewiß solche ersten Gedanken von Kindern … Und da, neben ihr, auf den Stufen, sitzt dieser verrückte alte Mann, der Großvater, und sieht sie unverwandt an … Wissen Sie, hier ist nichts Besonderes, an diesem Bild von Dickens, überhaupt nichts Besonderes, aber man kann es in Ewigkeit nicht vergessen, und es ist in ganz Europa geblieben – warum? Weil es das Schöne ist! Weil hier die Unschuld ist! Ha! Ich weiß nicht, was es ist, aber was da ist, ist gut. Ich habe im Gymnasium immerzu Romane gelesen. Wissen Sie, ich habe eine Schwester auf unserem Landgut, sie ist nur ein Jahr älter … Oh, jetzt ist doch schon alles verkauft, das Landgut gibt es nicht mehr! Sie und ich haben zusammen auf der Terrasse gesessen, unter unseren alten Linden, und haben diesen Roman gelesen, und die Sonne ging auch unter, und plötzlich lasen wir nicht mehr und sagten einander, daß auch wir so gut sein, daß auch wir so schön sein würden – ich bereitete mich damals auf mein Universitätsstudium vor und … Ach, Dolgorukij, wissen Sie, jeder hat so seine eigenen Erinnerungen!«
    Und plötzlich legte er sein hübsches Köpfchen auf meine Schulter und – weinte. Er tat mir sehr, sehr leid. Stimmt, er hatte viel Wein getrunken, aber er hatte so aufrichtig und so brüderlich mit mir gesprochen, mit so viel Gefühl … Plötzlich, in diesem Augenblick, hörte man draußen Geschrei und lautes Trommeln mit den Fingern gegen unser Fenster (die Fenster in dem Raum sind groß, aus Spiegelglas, Parterre, und man kann von der Straße aus mit den Fingern klopfen). Das war der hinausgeschmissene Andrejew.
    »Ohé, Lambert! Où est Lambert? As-tu vu Lambert?« hörte man sein wildes Schreien von der Straße.
    »Ach, der ist ja hier! Der ist also nicht gegangen?« rief mein Junge aufspringend.
    »Die Rechnung!« herrschte Lambert die Bedienung an. Sogar seine Hände zitterten vor Wut, als er zu rechnen begann, aber der Pockennarbige erlaubte ihm nicht, für ihn zu zahlen.
    »Aber warum denn? Ich habe Sie doch eingeladen, und Sie haben die Einladung angenommen?«
    »Nein, das müssen Sie mir schon gestatten«, der Pockennarbige zog sein Portemonnaie heraus, rechnete seinen Anteil aus und zahlte gesondert.
    »Sie beleidigen mich, Semjon Sidorytsch!«
    »Mir ist es so recht, wenn’s beliebt«, meinte Semjon Sidorowitsch kühl, nahm seinen Hut und ging, ohne sich von jemand zu verabschieden, allein aus dem Saal. Lambert warf dem Kellner das Geld zu und lief eilig hinter ihm her, wobei er in seiner Aufregung sogar mich vergaß. Trischatow und ich gingen als letzte. Andrejew ragte wie ein Pfosten an der Vorfahrt und wartete auf Trischatow.
    »Schurke!« Lambert war nahe daran, die Geduld zu verlieren.
    »Aber – aber!« knurrte ihn Andrejew an und schlug ihm mit einer einzigen ausholenden Handbewegung den runden Hut herunter, der über das Trottoir rollte. Lambert stürzte mit erniedrigender Eile ihm nach.
    » Vingt cinq roubles! « Andrejew zeigte Trischatow die Banknote, die er vorhin Lambert abgeknöpft hatte.
    »Aber ich bitte dich«, rief ihm Trischatow zu. »Du willst immer Krach machen … Weshalb hast du ihm diese fünfundzwanzig abgezwackt? Dir standen nur sieben zu.«
    »Weshalb ich sie ihm abgezwackt habe? Er hatte uns ein Essen im Séparée versprochen, mit den Schönen aus Athen, und statt der Schönen setzt er uns den Pockennarbigen vor, außerdem konnte ich nicht zu Ende speisen und habe in der Kälte draußen für mindestens achtzehn Rubel gefroren. Sieben Rubel hatte ich bei ihm

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