Ein Hauch Vanille (German Edition)
Der Umzug
W
eiter;
bitte weiter…, flehte ich in brünstig vor mich hin, während mein Blick der
einsamen Straße entlang schweifte, die sich gemächlich den Berg hinauf
schlängelte. Erst spähte ich durch die linke, dann durch die rechte
Seitenscheibe. Nichts! Um noch mehr sehen zu können, erhob ich mich ein
Stück aus meinem Sitz und reckte giraffenartig meinen Hals. Doch soweit ich
mich auch streckte, ich sah nur Äcker, Wiesen und Wälder. Sonst nichts, rién,
nothing!
Wie
Hühner auf der Stange saßen wir nun schon seit mehr als einer Stunde, eng
zusammen gepfercht zwischen Kissen und Decken, die keinen Platz mehr im
Umzugswagen gefunden hatten, auf der Rücksitzbank unseres VW Golfs, in dem es
in der Hitze der Juli Sonne mittlerweile so heiß geworden war, dass ich mich
eher wie ein Hühnchen am Spieß fühlte. Schweiß triefte aus jeder meiner Poren
und ich wurde so durstig, dass ich das Gefühl hatte zu mumifizieren.
„Welch
Einöde“, stöhnte ich und sank resigniert zurück auf den hart gepolsterten
Autositz. Der Umzug, den ich sehnsüchtig erwartet hatte, sollte alles
verändern. Alles würde besser werden. So hatte es uns jedenfalls unsere Mutter
Anne verkauft. Vor allem die katastrophale Beziehung zu unserem Stiefvater
Michael sollte endlich der Vergangenheit angehören. Denn mit dem Kauf des
Hauses verwirklichten sich beide einen lang gehegten Traum.
Doch
beim Anblick der drei einsam weidenden Pferde, die gerade an meiner Scheibe
vorbei zogen und von denen eines den Schweif hob, um seine Notdurft zu
verrichten, irgendwie nur schwer vorstellbar. Aber für mich zählte sowieso nur
eines: Veränderung, endlich! Vorbei der Stillstand in meinem Leben. Ende der
Sackgasse, in der ich mich schon so ewig lang befand. Und endlich Licht am Ende
des Tunnels, das diesmal kein entgegenkommender Zug zu sein schien.
Aufgrund der Größe des Hauses würde es mir in Zukunft nun endlich auch möglich
sein, ihm einfach aus dem Weg zu gehen.
Schöne Vorstellung, dachte ich. Fast schon zu schön, um wahr zu sein. Mir wurde
plötzlich ganz unwohl, ich schüttelte mich, um das flaue Gefühl in der
Magengegend wieder los zu werden, aber es gelang mir nicht. Ängstlich riss ich
die Augen auf.
„Ich sterbe wenn es hier irgendwo ist“, sagte ich so leise, dass es im Wagen
niemand hören konnte. Ich hatte mir vorher gar keine Gedanken darüber gemacht,
wo genau wir hinziehen würden. Alles wäre besser als das bisherige. Deshalb
hatte es mich nicht weiter interessiert. Bis jetzt. Jetzt, wo es mir eiskalt
den Rücken hinunter lief. Dabei gab es doch überhaupt keinen Grund für meine
Panik. Oder doch?
„Lächerlich“, widersprach ich mir selbst und wunderte mich über meine eigenen
Gedanken. Warum gehe ich nur immer vom Schlimmsten aus? Schließlich hatten wir
sechzehn Jahre lang im Stadtzentrum gewohnt, da war es doch völlig irrsinnig zu
glauben, dass es uns nun hierher, in diese Pampa verschlagen könnte.
Ich
sah nach vorn, zu meinem Zwillingsbruder Robert, der es sich inzwischen auf dem
Beifahrersitz bequem gemacht hatte und sich seit geraumer Zeit nicht mehr
rührte. Mit völliger Leere in den Augen starrte er hinaus und schien an rein
gar nichts zu denken. Wie ich ihn um diese Gabe beneidete! Zu schauen und doch
nichts zu sehen. Was hätte ich darum gegeben, so unbeschwert und gedankenlos
wie er durchs Leben zu gehen. Daher beschloss ich, mir einfach etwas von seiner
Leichtigkeit anzueignen und nahm mir vor, in Zukunft nicht mehr alles so
schwarz zu sehen. Doch schon bohrte sich die nächste Frage in meinen Kopf:
Warum? Warum nur, ließen sie uns bezüglich unseres Zieles so dermaßen im
Dunkeln tappen? Ich atmete tief ein.
„Alles wird gut “, sprachich mir selbst Mut zu und lächelte
meinen kleinen zweijährigen Bruder Michi links neben mir im Kindersitz an, der
inzwischen ungeduldig von einer Po Backe auf die andere wackelte.
Währenddessen ich mein Fenster ein Stück öffnete, um mehr Luft zu bekommen,
hämmerte Michi mit dem Fuß immer im gleichen Rhythmus gegen den Fahrersitz
unserer Mutter und schrie dabei einen kurzen, im markerschütternden Laut aus.
Einen Laut, den ich Ur-Schrei nannte. Denn genau so stellte ich mir die
Kommunikation der Neandertaler in der Steinzeit
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