Ein Hauch Von Sterblichkeit
aromatisierten Fleischextrakt hin. Während Mrs. Harmers wohlgemeinter Krankenpflege stank das Haus nach gekochtem Kabeljau, gebackenem Milchreis und Oxo. Ein positives Resultat von alledem war, dass es Meredith ermunterte, so schnell wie nur irgend möglich wieder auf die Beine zu kommen. Als der Tag kam, an dem sie Mrs. Harmer wieder in das Vikariat entlassen konnte, war Meredith – kaum ein Ausbund von Dankbarkeit – nach lautem Jubeln zumute. Die Symptome der Grippe waren verschwunden – doch Meredith fühlte sich beunruhigend schwach auf den Beinen und hatte – wenig überraschend infolge all diesen gekochten Fischs und Fleischextrakts – eine Abneigung gegen Essen allgemein entwickelt. Trotz alledem jedoch war Meredith an diesem Tag früh aus dem Bett und auf den Beinen. Sally Caswell, die bei Bailey and Bailey arbeitete, den ortsansässigen Auktionatoren, hatte ihr erzählt, dass sich unter den Gegenständen, die bei der morgen stattfindenden Auktion versteigert würden, ein Satz viktorianischer Gläser befand. Wie üblich wurde die Auktionsware einen Tag vorher ausgestellt. Heute.
»Genau das, was du suchst, Meredith!« Sie hatte tatsächlich vor einiger Zeit erwähnt, dass sie viktorianische Gläser suche, und Sally hatte versprochen, die Augen offen zu halten. Im Allgemeinen bot sich Merediths beengtes Reihenendhäuschen nicht gerade zum Sammeln von Antiquitäten an. Bis zum heutigen Tag war denn auch ihr einziger Vorstoß in dieser Richtung der Kauf eines walisischen Küchenschranks gewesen, und wahrscheinlich hatten sie die damit verbundenen Abenteuer von weiteren Unternehmungen dieser Art abgehalten. Doch heute würde sie zur Auktionshalle gehen und einen Blick auf die Gläser werfen, und anschließend würde sie mit Sally eine Kleinigkeit essen gehen. Nicht, dass ihr Appetit schon wieder zurückgekehrt wäre, doch eine Schüssel Suppe oder eine andere Kleinigkeit wäre nicht schlecht. Meredith machte sich eilig und geräuschvoll auf, die Stufen zur Küche hinunter. Sie fühlte sich einigermaßen munter. Sie füllte Wasser in den Kessel und spähte durch das Küchenfenster hinaus in den kleinen Hinterhof. Es sah kalt aus dort draußen, aber das Wetter war hell und freundlich. Eine Bewegung hinter dem nicht mehr genutzten Kohlenbunker, wo sich der Frost immer noch hielt, ein Schatten in der gegenüberliegenden Ecke erweckte ihre Aufmerksamkeit. Es war die Katze. Die Katze hatte ein getigertes Fell und kam seit ungefähr zwei Wochen, wenn auch mit Unterbrechungen. Sie war mager und von Kämpfen gezeichnet, doch sie war noch sehr jung. Meredith mochte getigerte Katzen. Vielleicht kam sie schon länger, und Meredith hatte sie einfach deswegen nie bemerkt, weil sie normalerweise den ganzen Tag im Büro war. Erst während der durch die Krankheit erzwungenen Arbeitspause hatte sie das Tier entdeckt. Sie wusste nicht, ob die Katze ausgesetzt worden und nun auf der Suche nach einem neuen und behaglichen Zuhause war oder ob sie ein wild lebendes Tier war, doch sie vermutete, dass ein liebloser Vorbesitzer die Katze hinausgeworfen hatte. Sie wirkte nervös. Sie reagierte nicht auf freundliches Zureden. Andererseits gefiel es Meredith überhaupt nicht, ein dermaßen abgemagertes Tier zu sehen. Und nachdem Mrs. Harmer den Gefrierschrank entgegenkommenderweise mit Fischfilets gefüllt hatte, war Meredith dazu übergegangen, sie aufzutauen und Stück für Stück an die Katze zu verfüttern. Das war nur möglich, indem sie das Futter auslegte und sich dann wieder zurückzog. Die Katze weigerte sich, jemanden in ihre Nähe zu lassen; nicht einmal der verlockende Duft von Kabeljau vermochte ihre Meinung zu ändern. Meredith musste den Hof verlassen. Wenn sie wiederkam, war das ausgelegte Futter jedoch immer verschwunden. Es war eine ausgezeichnete Möglichkeit, den Fisch loszuwerden, ohne ihn einfach wegzuwerfen. So gaben Katze und Gefrierfisch ihr Gelegenheit, ein gutes Werk zu tun. Meredith nahm eine Plastikdose mit dem fertig vorbereiteten Kabeljau aus dem Kühlschrank, öffnete die Hintertür und trat in einen beißenden Wind hinaus. Sie kratzte den Fisch auf einen Unterteller und rief nach der Katze. Natürlich folgte diese nicht, stattdessen brachte sie sich mit einem Satz über die Mauer in Sicherheit. Meredith zog sich ins Haus zurück. Der Fisch blieb auf dem Teller. Gewiss würde die Katze, wie schon zuvor, in den Hof zurückkommen. Und nicht nur diese Katze, sondern auch jede andere in der gesamten
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