Ein Haus geteilt durch 8
wiedererrichtet, stand links neben dem Eingang auf einer Marmortafel), hörten die Bewohner zweimal in der Woche diesem Trio kopfschüttelnd zu. Man sah den Professor übrigens niemals ohne ein Buch, das er dicht vor die sanften, rehbraunen, durch eine Brille mit Goldrand blickenden Augen hielt. In der linken Hand ein Einkaufsnetz mit Früchten tragend, in der rechten At Turtuschis Verse, so trabte er eifrig über die Straßen, stolperte, weder rechts noch links blickend, über die Bordsteine, fand wunderbarerweise immer wieder die Balance und überquerte, von den nutzlosen Flüchen der Autofahrer und von einem fabelhaft tüchtigen Schutzengel begleitet, die gefährlichsten Kreuzungen. Bei den Polizisten war er bekannt, und ohne daß er ihre Bemühungen wahrnahm, stoppten sie für ihn den Verkehr und begleiteten ihn, wie sie es sonst nur bei sehr alten und gebrechlichen Damen taten, über die Straße.
Im Parterre rechts wohnte Dr. Michael Lindberg mit seiner bedeutend jüngeren, hübschen Frau. Hier wurden die Vorhänge gewöhnlich erst um neun Uhr zur Seite gezogen, denn Dr. Lindberg pflegte bis in die Nacht und manchmal sogar bis in den Morgen hinein zu arbeiten, wenn er wichtige Theaterkritiken zu schreiben hatte oder zu den aktuellen Fragen der Kulturpolitik Stellung nehmen mußte. Er war Dr. med., und der Gasmann, der das wußte, versäumte es nie, ihm zwischen dem Abzählen des Gas- und Elektrozählers die eigenen Leiden und die Leiden seiner vielköpfigen Familie eingehend zu schildern. Dr. Lindberg hörte ihm jedesmal geduldig zu und empfahl ihm schließlich, Dr. Hallmann in der Bachstraße zu konsultieren, den Arzt aus der Nachbarschaft, mit dem er befreundet war. Dr. Michael Lindberg war nämlich Redakteur, Kulturredakteur am Generalanzeiger, und er hatte außer der Doktorarbeit nie mehr über ein medizinisches Thema geschrieben, aus dem gleichen Grunde, weswegen er vor Jahren seine Medizinerlaufbahn an den Nagel gehängt hatte. Er war nämlich ein hochgradiger Hypochonder und litt während seines Studiums an allen Krankheiten, die ihm vom Katheder beschrieben oder in den klinischen Semestern am praktischen Beispiel vorgeführt wurden. Als er sogar ein paar typische Frauenleiden an sich zu entdecken begann, wußte er, daß er aufs falsche Pferd gesetzt hatte und daß es in der Geschichte der großen Mediziner niemals ein ruhmreiches Kapitel Lindberg geben würde. So hängte er ein paar Semester Germanistik an die Medizin und verschrieb sich dem Journalismus. - Seine Frau Brigitte, von ihm Gitta genannt, war mehr als zehn Jahre jünger als er. Sie war hübsch und hatte eine Figur, die Oberregierungsrat Pünder vor seiner ein wenig flach geratenen Gattin so begeistert rühmte, daß Frau Pünder nervös wurde, wenn irgendwo im Gespräch Frau Lindbergs Name fiel. Sie meinte dann, Frau Lindbergs Figur sei viel zu robust, um wirklich als schön gelten zu können. Immerhin, auch wenn der alte Oberst von Krappf Frau Lindberg im Hause oder auf der Straße begegnete, drückte er das Kreuz noch gerader durch, stieß den Hut zackig salutierend empor und preßte die Lippen zusammen, als müsse er ein >Donnerwetter< der Bewunderung mit Gewalt unterdrücken. Der Wirt von der kleinen Kneipe >Zur Lötlampe< an der Ecke Haydn- und Wagnerstraße, wo Lindbergs gelegentlich einen Schoppen Wein tranken, schwor seinen Gästen, er wisse es ganz genau, daß Frau Lindberg eine berühmte Schauspielerin gewesen sei... jawoll, wenn er sich nicht irre, sogar so ‘ne Art Filmdivan!
Wenn um neun Uhr der Briefträger läutete, lief von oben im dritten Stock, wo sie die kleinere Mansardenwohnung neben Holldorfs, ein Zimmer, eine Kammer und eine winzige Küche, gemietet hatte, die Witwe Emma Düsenengel zum Briefkasten hinab. Sie war die Witwe eines einstmals vermögenden Wachswarenfabrikanten und Honighändlers, der im Krieg auf einer Fahrt nach Frankfurt einfach verschollen war, wahrscheinlich durch einen Bombenvolltreffer im Zug oder in einem Luftschutzbunker ausgelöscht und fortgeblasen, so daß man von ihm nie mehr auch nur eine Spur entdeckt hatte. Frau Düsenengel besaß eine einzige Tochter namens Mathilde, die in den Nachkriegsjahren einen Sergeanten der amerikanischen Besatzungsarmee geheiratet hatte, seitdem Macpherson hieß und ihrem Mann in die Vereinigten Staaten gefolgt war, wo er in Detroit als Mechaniker bei Ford arbeitete. Die alte Frau liebte diese Tochter abgöttisch, und die Tochter vergalt die Liebe, indem sie
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