Ein Haus in Italien
die Fenstersimse, durch die Zweige der Zypressen schossen zahllose bunte Finken. Irgendwo in den Feldern dahinter läuteten die Glocken einer Schafherde.
Die bedrohlichen Schreie der Nacht waren verklungen oder zu vertrauten Landgeräuschen geworden. Wir blieben in der Küche, genossen die Morgensonne, schliefen zum ersten Mal richtig und bauten alle Geräusche behaglich in unseren Schlummer ein. Um sieben Uhr waren diese Geräusche zu artikulierten Stimmen italienischer Männer direkt vor unserer Tür geworden. Eine weitere Stimme rief von draußen: »Oh, Imolo!« und die Männer zogen sich zurück, um durch das klaffende Mauerwerk einen Wettstreit im Schreien auszutragen.
Dies war der Kern unseres Bautrupps, Imolo war der Maurermeister. Damals wußte ich nicht, daß ich mit ihm ebenso viel Zeit verbringen würde wie mit meiner Familie. Sein merkwürdiger Name schallte durch die Gegend wie ein Schlachtruf, während wir uns so vorzeigbar herrichteten, wie es unser zerzauster Allgemeinzustand erlaubte. Das Kind Iseult wußte, was es dem Anlaß schuldig war, und hüllte sich in ein schwarzsamtenes Cocktailkleid mit ellbogenlangen Abendhandschuhen. Zu zweit gelang es uns, dem Trupp einen mächtigen Schrecken einzujagen, als wir aus der, wie sie meinten, leeren Ruine traten.
Imolo nahm die Angelegenheit in die Hand, indem er uns höflich erklärte, nachdem die Villa jahrzehntelang allen offen gestanden habe, sei sie nun Privateigentum, und man er
warte täglich, ja minütlich die Ankunft der Besitzer. Während er sprach, spähte er nervös herum, um festzustellen, wen wir noch auf dem Gelände versteckt hielten, das ihm anvertraut war. Wir hatten unsere Strandmatten und unser dürftiges Bettzeug fortgeräumt, und von unserem nächtlichen Logieren war nichts als der erstarrte Schleim auf dem Boden übrig, den er mit Abscheu und Mißtrauen beäugte. Ich wertete es als Beweis seiner extremen Gastfreundlichkeit, daß er uns trotz unseres offenkundigen Eindringens anbot, uns mit zu sich nach Haus zu nehmen und von seiner Frau mit Kaffee und Keksen bewirten zu lassen, bevor er uns verabschiedete.
»Es ist ganz nah«, versicherte er uns. »Wir fangen heute mit der Arbeit hier an, und die Besitzer würden Sie nicht gern hier antreffen.«
» Ich bin die Besitzerin«, sagte ich zu ihm.
Imolos durchdringend blaue Augen lächelten, während zwei seiner Kollegen in der Türöffnung standen, sich gegenseitig stützten und ihr Gelächter zu einem gedämpften »Eh, si , eh!«-Duett verschluckten.
»Ja«, sagte ich, so bestimmt ich nur konnte. »Ich habe die Villa gekauft, ich bin die Besitzerin, und dies ist meine Tochter Iseult.«
Die drei Männer guckten von einer zur anderen, ließen die Augen lüstern und anerkennend auf dem Kind ruhen, bevor sie sich wieder mir zuwandten.
» Parla italiano? « fragte Imolo mich.
»Aber wir sprechen Italienisch.«
»Ja«, sagte er zweifelnd. »Aber wir reden Unsinn. Sehen Sie, ich habe mit dem geometra und dem Verkäufer gesprochen, und ich weiß, daß die neuen Besitzer ein Ehepaar mittleren
Alters sind, sehr vornehm. Niemand hat etwas von zwei Mädchen gesagt.«
»Ich bin kein Mädchen«, sagte ich. »Ich bin eine signora. Vielleicht wurde etwas übertrieben, was die Vornehmheit angeht, aber mein Mann und ich haben diese Villa gekauft, und jetzt ziehen wir ein.«
Imolo beäugte traurig die glitschige Nudelpampe und durchwühlte seine Taschen auf der Suche nach einer Zigarette. Er fand sie in einer verknitterten und staubigen Packung.
»Ich bin die signora. Ich bin nur ein bißchen müde«, wiederholte ich lahm, und das Kind mischte sich ein, um meine Behauptung zu bestätigen. Ich habe seit jeher eine ungewöhnlich leise Stimme; eine Kinderstimme und ein kindliches Gesicht. Mit zunehmendem Alter ist letzteres häufig ein Anlaß zu erfreulichen Komplimenten, aber ersteres ist immer lästig gewesen. Als ich in Venezuela eine Zuckerrohrplantage leitete, glaubten mir Fremde nie, daß ich der Chef sei. In jüngerer Zeit, in den Jahren meiner Laufbahn als Schriftstellerin, bitten mich Anrufer, wenn ich mich nicht sehr bemühe und meine Stimme verstelle, ich möge meine Mammi holen, damit sie mit mir sprechen können.
»Fahren wir zum geometra , wenn Sie möchten. Ich kenne ihn, er wird Ihnen sagen, daß wir sind, wer wir zu sein behaupten.«
Imolo lachte; dann entschuldigte er sich und umfaßte einige Sekunden lang fest meinen Ellbogen.
»Sie haben uns überrascht. Willkommen in San
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