Ein Haus in Italien
Sozialgeschichte, alles von lautstarkem Säubern ihrer verstopften Nasenlöcher begleitet. Sie sah den erstaunten Blick des Kindes, als sie es das erste Mal machte, und erklärte daraufhin, sie leide unter chronischer Nebenhöhlenvereiterung.
»Ich habe in Fontecchio Schlamminhalationen bekommen«, erzählte sie. »Aber dafür muß ich um fünf Uhr aufstehen und nach Castello fahren, und mit sieben Kindern und einem davon nicht richtig im Kopf und so vielen Hühnern, die gerupft und ausgenommen werden müssen, kann ich einfach die Termine nicht einhalten.«
Carlo gesellte sich zu uns, er schlenderte herein, stand unschlüssig hinter seiner Mutter herum und ließ das tropfende tote Huhn an den Beinen baumeln. Regina stellte uns ihrem Sohn vor und fügte zärtlich hinzu: »Das ist der, der nicht richtig im Kopf ist.«
Carlo war groß und dünn, hatte dunkle Locken und ein dauerndes schüchternes Grinsen. Wenn er ging, schob er den Kopf etwas nach vorn. Die meisten Italiener betasten in der Öffentlichkeit ihre Genitalien in regelmäßigen Abständen, als wollten sie sichergehen, daß sie noch da sind. Carlo schien mit einer düsteren Vorahnung von Verlust geboren, denn eine Hand hielt er unablässig in die Hose gekrallt, prüfend und tastend. Auch Reginas Hände waren immer beschäftigt. Als
sie mit dem Trommeln fertig war, griff sie sich das tote Huhn und begann, es mit ausgesprochenem Geschick über dem Fußboden zu rupfen. Nachdem sie den dünnen, gelbhäutigen Vogel völlig entblößt hatte, nahm sie ihn aus, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen.
Wir machten die Toilette ausfindig, eine kleine Zelle hinter dem Gastraum, schlüpften nacheinander hinein und wuschen uns an dem winzigen Waschbecken. Wir fanden auch heraus, daß die Bar, die zunächst derart kümmerlich ausgestattet schien, eine Kostbarkeit barg: Es gab ein öffentliches Telefon. Ich rief Robbie in Schottland an, wo er seinen Vater pflegte, erzählte ihm, wie gut wir zurechtkamen, und ich rief unsere irischen Au-pairs in Venedig an, um nach Allie zu fragen. Er war in der Schule.
»Wen haben Sie angerufen?«
»Meinen Mann.«
»Warum in aller Welt rufen Sie Ihren Mann an?«
»Er ist weit weg.«
» Bé ! So ein Glück, das ist meiner nie. Er kommt gleich herein und hängt seinen Rüssel in den Wein.« Aufs Stichwort schlurfte ein kleiner, gedrungener, violettgesichtiger Mann durch die Tür und grinste das gleiche dümmliche Grinsen wie sein behinderter Sohn.
» Buon dì !« verkündete er und wandte sich mit geübter Bewegung zur Theke. Regina schubste dem Kind Iseult das ausgenommene Huhn hin und sprang vom Stuhl auf. Ihr Ehemann war schneller, er stand bereits hinter der Theke und schüttete ohne Umstände eine Flasche Wein die Kehle hinunter. Regina nahm die Flasche und knuffte ihn auf den violett geäderten Kopf. Kein Wort wurde gesprochen, und er trollte sich kopfschüttelnd zurück in die Sonne.
Sauberer und klüger, folgten wir ihm hinaus in den Sonnenschein, mit Hinweisen von Regina, wo die Geschäfte des Dorfes versteckt lägen. Von einer vogelartigen Witwe, deren Kopf kaum über ihre vollgestellte Ladentheke reichte, kauften wir eine Matratze, einige Laken, drei geblümte Decken und ein kariertes Tischtuch. Hätte uns der Sinn danach gestanden, wir hätten auch noch Vorhänge, Teppiche und Kissen kaufen können. Ihr Geschäft hatte eine größere Auswahl an Männerhosen als die meisten Großkaufhäuser, des weiteren mehrere hundert Paar Strümpfe, Regale voller Schürzen und Stapel blauer Strickjacken, die vom Fußboden bis zur Decke reichten.
Als wir in dieses Matratzen-Kaufhaus kamen, eines von mehreren Bruchsteinhäusern in der Mitte des Dorfes, wurde uns klar, daß uns die Kunde vorausgeeilt war. Sie besagte, daß wir in den palazzo eingezogen seien, daß wir dort campten, ohne Wasser lebten und ohne einen einzigen Mann. Trotz dieses Flecks auf unserer Ehrbarkeit (oder vielleicht deswegen) wurden wir mit äußerster Freundlichkeit behandelt. Nachdem wir unsere Matratze gekauft und dafür gesorgt hatten, daß sie zum Haus geliefert werden würde, bat uns die Ladenbesitzerin zum Kaffeetrinken in ihre Küche. Sie holte die besten Limoges-Tassen aus dem Schrank und servierte uns Kaffee mit starkem mistrà , Plätzchen und Süßigkeiten auf einem makellosen Tablett auf einem blitzblanken Kastanientisch in einer Küche, die so sauber war, daß sie unbenutzt wirkte. Ich trank sowohl meinen Kaffee als auch den des Kindes, dann standen wir
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