Ein Herz bricht selten allein
einen Mann hatte! Er regelte die Dinge für seine Familie, räumte Schwierigkeiten aus dem Weg, organisierte große Wagen und zahlte die Hotels. Anna war auf dem besten Wege, neidisch zu werden.
Nancy, als ob sie Annas Gedanken gelesen hätte, sagte: »Dad macht alles möglich, Dad ist wundervoll.«
Sie sprach ein leidlich gutes Deutsch.
Susan dagegen unterhielt sich auf englisch.
»Hier haben sich also die berühmten hundert Tage Napoleons abgespielt. Ich habe davon gelesen«, stellte sie mit dem sachlichen Sightseeing-Blick der Amerikanerin fest.
Anna wagte nicht, sie zu berichtigen. Susan schien so glücklich mit ihren Geschichtskenntnissen, und schließlich war es ja auch ganz schnuppe, ob die berühmten hundert Tage vor oder nach seiner Flucht von Elba begonnen hatten. Er hatte acht Monate auf der Insel verbracht und sehnsüchtig nach seinem Geburtsland Korsika hinübergeblickt.
Frank kam mit einem großen weißen Lancia zurück. Weiß Gott, wo er ihn aufgetrieben hatte, jedenfalls nicht in einem Mietwagengeschäft. Zwei Fotoapparate baumelten von seinen hageren Schultern, und er trug einen breitkrempigen Strohhut. Anna bekam es mit der Angst zu tun. Werden wir uns überhaupt noch miteinander verständigen können?
Als er all seine Gepäckstücke, seine dicke, vergnügte Frau und seine jungenhafte, kritisch in die Welt blickende Tochter im Auto verstaut hatte, geleitete er Anna zu ihrem kleinen Fiat.
»Du humpelst ja, Mädchen«, sagte er und nahm ihren Arm.
»Mich hat gestern ein Skorpion gestochen.«
»Oh, gibt es hier Skorpione? Sag das nur nicht Susan, sonst müssen wir mit dem nächsten Schiff wieder abreisen. Gibt’s auch Haie?«
»Nein, Haie nicht. Etliche Schlangenarten, aber nur eine davon ist giftig.«
»Eine genügt. Susan würde erst gar nicht ihren Koffer auspacken, wenn sie es wüßte.«
Anna warf ihm einen abschätzenden Blick zu, aber sie sagte nichts.
»Ich bin zufrieden mit meinem Leben«, sagte Frank, als habe Anna ihn danach gefragt. »Meist hat man es ja selbst in der Hand, zufrieden zu sein oder nicht. Susan ist eine gute Frau. Sie nötigt mir keine Probleme auf, verstehst du? Dafür lasse ich ihr die Angst vor Skorpionen und Schlangen und Amöben und ihre Liebe zu grellen Farben. Außerdem hat sie mir ein paar ganz famose Kinder geschenkt.«
»Ist Nancy nicht ein schwieriges Mädchen? Sie sieht so aus.«
»Ach, weißt du, die einzige Schwierigkeit ist eigentlich, daß unsere Kinder dreißig Jahre jünger sind als wir. Findest du nicht?« Er sah Anna von der Seite an. Eine tiefe Falte war über ihrer Nasenwurzel eingegraben, senkrecht zwischen den Brauen. »Wir wollen uns doch nichts vormachen.«
»Ich mache mir manchmal ganz gern was vor. Ich gehöre ungern zum alten Eisen.«
»Sag das nicht, Anna. Gerade beim alten Eisen findet man gelegentlich manch originelles Stück.«
»Für die Raritätenkammer. Um Kinder zu erschrecken.« Anna lachte.
»Kinder betreffend: Wie geht es Bettina? Hat sie schon ein zweites Baby?«
»Nein. Sie hat — fürchte ich — ihren ersten Liebhaber. Sie ist ihrem Mann weggelaufen. Auf und davon, weil er sie betrogen hat. Sie hatte irgendeine kleine Filmsache in Aussicht, aber das hat sich als Luftblase erwiesen. Augenblicklich ist sie in Rom.«
»Und die Kleine? Franziska?«
»Franzi ist meine ganze Wonne. Bei Franzi werde ich mal unterkriechen, wenn es kühl um mich her wird. Sie ist mein Seelenöfchen.«
»So?«
»Das klingt aber skeptisch.«
»Ich glaube an keinen warmen Schlupfwinkel für Eltern, nimm es mir nicht übel. Wenn wir ganz alt sind, sind unsere Kinder keineswegs ganz jung, und sie haben die Hucke voll eigener Probleme und Schwierigkeiten. Erwarte keine Wunder von deinen Kindern. In dieser Beziehung sind sie eine schlechte Anlage. Und wir waren es auch.«
Sie waren bei Annas Wagen angelangt. »Ich fahre euch voraus zu eurem Hotel«, sagte sie.
Frank wollte schon weggehen, aber dann kehrte er noch mal um. »Du hast doch auch einen Sohn?« fragte er.
»Ja, freilich, der Poldi.« Annas Stimme klang etwas zu fröhlich.
»Der muß doch inzwischen fertig sein. Wollte er nicht Geologe werden?«
»Er hat umgesattelt.«
»So? Was will er denn nun werden?«
»Weißt du, im Augenblick schaut er sich die Welt an«, erwiderte Anna ausweichend.
»Gut und schön, aber was tut er? Wie alt ist er denn?«
Anna machte ihn rasch zwei Jahre jünger. »Dreiundzwanzig«, sagte sie. Was tat man nicht alles für seine Kinder. Man log.
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