Ein Herz bricht selten allein
Und man würde noch ganz anderes für sie tun. Niemand durfte schlecht reden oder denken über die Brut.
»Wirklich erst dreiundzwanzig? Du hast doch im gleichen Jahr geheiratet wie ich.«
Anna merkte, daß Frank rechnete. Sie schlug rasch die Tür zu und winkte aus dem Autofenster. »Ich fahre also voraus.«
Evelyne und Franzi unterbrachen ihr Gespräch, als Mrs. Ronsfield ins Zimmer trat. Mrs. Ronsfield, Evelynes Mutter, war eine mittelgroße, hagere Frau mit grauen Augen und einem etwas schmalen, verkrampften Mund. Sie sah so aus, als halte sie ständig irgendwelche Klagen hinter ihren verschlossenen Lippen zurück.
In Wirklichkeit hatte sie sich über nichts zu beklagen. Ihr Mann besaß eine gute Arztpraxis auf der Insel Jersey. Die Insel war fruchtbar, ihr Klima mild und fast südlich, und Dr. Ronsfields Praxis blühte wie die tiefdunklen Gladiolen ringsum in Mrs. Ronsfields Garten. Mrs. Ronsfield hegte eine schier krankhafte Liebe zu Gladiolen.
»Ich weiß genau, warum Mam sie so liebt. Sie geben so eindrucksvolle Grabgebinde ab. Deshalb durchstöbert sie auch jeden Morgen so eifrig die Zeitung und freut sich insgeheim, wenn sie unter den Hinterbliebenen in den Todesanzeigen irgendeinen Bekannten entdeckt, dem sie ihre Gladiolen andrehen kann«, sagte Evelyne. Sie war, wie alle Mädchen ihres Alters, eine respektlose Tochter.
Franzi hatte Evelyne vor Jahren beim Skifahren kennengelernt. Beide konnten von Apfelstrudel und Coca leben und waren sich darüber einig, daß die Schule die entwürdigendste und altmodischste Einrichtung der Welt war. Zum Glück lag das nun hinter ihnen. Es gab nur ein wichtiges Thema, und das war das Leben, ihr eigenes Leben: Jung sein und sich nicht im geringsten um die vorfabrizierten Meinungen der >Verstaubten< kümmern. Die >Verstaubten< waren alle Menschen über dreißig mit Ausnahme des wunderbaren, über jede Kritik erhabenen Dr. Henry Ronsfield.
»Ihr Mädchen liegt noch im Bett?« Die Brauen über Mrs. Ronsfields grauen Augen bildeten einen Bogen allerhöchsten Erstaunens.
Evelyne, schon zum Aufstehen bereit, zog ihre langen stakeligen Beine rasch wieder unter die Bettdecke. »Ja, warum?« fragte sie herausfordernd.
Mrs. Ronsfield ging zum Fenster und riß den Vorhang entschlossen auseinander. Es gab dieses häßliche, scharrende Geräusch, als ob Autoräder auf Kies blockierten.
Evelyne hielt sich die Ohren zu und kniff die Augen vor dem jäh hereinfallenden Tageslicht zusammen. Es war so behaglich gewesen. Warum stürzte Mam jeden Morgen wie eine Wilde ins Zimmer und >begann den Tag<, wie sie es nannte?
»Kommt, Mädchen, macht schnell. Ein himmlischer Morgen«, verkündete Mrs. Ronsfield.
Macht schnell! Wozu schnell machen? Was versäumten sie? Sie waren hier, um ihre Ferien zu genießen.
»Wollt ihr heute nicht mal nach Saint Helier fahren? Vorgestern ist dort eine Kunstausstellung eröffnet worden. Heute steht eine Bombenkritik darüber in der Zeitung.«
»O ja, gern«, sagte Franzi höflich.
Als nur noch Mrs. Ronsfields Duftwolke im Zimmer war, wälzte Evelyne sich herum. »Warum hast du das gesagt? Ich weiß doch ganz genau, daß dich die Kunstausstellung anekelt.«
»Man kann nicht immer unhöflich sein.«
»Doch, man kann«, behauptete Evelyne. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn man ständig zu irgendeiner Unternehmung angestachelt wird. Wir waren gerade so schön im Zug. Wovon haben wir gesprochen?«
»Von meiner Nase, die ich mir abschneiden lassen will.«
»Du spinnst. Was hast du gegen deine Nase?«
»Sie ist viel zu lang. Und gebogen. Eine klassische Schafsnase. Sie gibt mir einen so edlen Ausdruck, und ich bin bestimmt nicht edel. Weißt du, was Lester neulich zu mir gesagt hat? >Ich wette, du schwärmst für Rilke.<«
»Na und?« meinte Evelyne traurig. »Das sollte vielleicht eines seiner idiotischen Komplimente sein.«
Lester war ihr Bruder. Er lebte in London und arbeitete dort in einem Institut für Meinungsforschung. In diesem Jahr verbrachte er zum erstenmal seinen Urlaub im Hause seiner Eltern. Er hatte sich nämlich einen neuen Wagen gekauft und war ziemlich pleite.
»Lester ist in dich verknallt, trotz deiner Schafsnase«, meinte Evelyne gähnend. »Ist er eigentlich nett?«
»Na, hör mal, das fragst du mich! Das mußt du doch besser wissen. Du kennst ihn schließlich länger.«
»Na ja, du weißt schon, wie ich meine. Nett zu Mädchen.«
»Zu Mädchen im allgemeinen weiß ich nicht. Zu mir ist er nett.«
»Ich kann ihn mir
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