Ein Herz bricht selten allein
den Tränen. »Ich danke Ihnen. Ich habe immer von Italien geträumt. Ich kehre ja sozusagen nur in das Land meiner Väter zurück.«
Der Notar warf einen prüfenden Blick auf das Dokument. »Ich dachte es mir. Fiocati klingt nicht sehr deutsch.«
In welchem Zustand geistiger Umnachtung hatten die Fiocatis bloß ihre schönen Weinberge und Felder bei Lucca verlassen? Anna hatte es nie ganz begriffen. Es lag vier Generationen zurück.
Der Geometer, der das Stück Land vermessen würde, erschien am nächsten Tag gegen vier Uhr nachmittags. Fast gleichzeitig mit ihm kam auch Patrizia angelaufen und schwenkte ein Telegramm.
Es war in Mailand aufgegeben und lautete: »Eintreffe Portoferraio Mittwoch achtzehn Uhr, bitte arrangiere Mietwagen — Gruß Frank.«
Anna war aufgeregt wie vor einem Schulausflug. Sie hatte Frank zuletzt vor fünf Jahren gesehen, ganz flüchtig zwischen zwei Flugzeugen. Sie wanderte in ihrem kleinen Bungalow auf und ab und überlegte, ob sie noch etwas an der Wohnung oder an sich verschönern könnte. Ob sie sich die Haare färben lassen sollte? Bisher hatte sie ihren grauen Haaren an den Schläfen keine besondere Bedeutung beigemessen, aber vor Frank, der ersten Liebe ihres Lebens, mochte sie sie nicht zugeben.
Sie betrachtete ihr Gesicht im Handspiegel und legte ihn seufzend wieder weg. Ich bin eine Großmutter, das läßt sich ja wohl nicht abstreiten. Wenigstens bin ich nicht fett und schwerfällig.
Anna mußte über sich selbst lächeln.
Von Korsika herüber zog eines jener theatralischen Gewitter, die Anna so sehr liebte. Die Blitze ritten auf schwefelgelb und tieflila gefärbten Wolken. Der Donner ließ die ganze Insel erbeben, und der zischende Regen baute eine undurchdringliche Wasserwand zwischen den Weinbergen und dem schwärzlich gefärbten Meer.
Das Wasser, das in breiten Strömen zu Tal floß, drang durch die Tür von Annas Bungalow.
Anna fragte sich, was aus ihr geworden wäre, wenn sie damals Franz Kohlmannsperger geheiratet hätte. Frank — oder der Franzi, wie er früher hieß — war der Sohn eines Druckereibesitzers in einer oberbayerischen Stadt. Er hatte als schwarzes Schaf der Familie gegolten. Oder vielmehr als rotes Schaf in der schwarzen Familie. Seine Eltern, gläubig und kirchentreu, hatten es nicht fassen können, daß ihr Sohn ein >Roter< war. Der Franzi hatte sich nicht einfärben lassen, weder schwarz noch später schwarz-weiß-rot. Als Fackelzüge und zu strammen Grüßen erhobene Hände in Mode kamen, buchte er eine Schiffspassage nach Amerika, und drüben wurde aus dem Franzi der hart arbeitende, erfolgreiche Zeitschriftenverleger Frank.
Der Regen hatte über Nacht das von der sommerlichen Hitze schon brüchig gewordene Land in ein frisch gefirnißtes Bild verwandelt. Von ihrem Bett aus sah sie zwischen den mannshohen blühenden Ginsterbüschen hindurch das Meer wie Millionen Kristalle funkeln.
Mit Schwung setzte sie die Füße auf den Zementfußboden, zog sie aber ebenso schnell wieder zurück. Sie war auf einen Skorpion getreten, und der hatte die Sache krummgenommen. Sie hätte daran denken müssen, daß bei feuchtem Wetter die Skorpione in den Häusern ihr Unwesen trieben.
Der Fuß schwoll an. Anna konnte kaum auftreten.
Salvatore Buonamico, der Anna mit seiner Enkelin einen Korb Gemüse brachte, machte ein erschrockenes Gesicht: »Sie müssen unbedingt zum Doktor gehen, Signora«, sagte er. »Sie können sterben.« Er sprach mit gedämpfter Stimme, als befände er sich bereits in einem Totenhaus. Ein Onkel seiner Frau war an einem Muränenbiß gestorben. Allerdings war auch noch eine Lungenentzündung dazugekommen, denn er hatte sich beim Fischen erkältet. In Rio nell’Elba liege er begraben. »Wenn Sie wollen, fahre ich mit Ihnen zum Friedhof.«
Aber Anna winkte ab. Sie erwartete Frank und wollte keinen Friedhof besuchen, sondern sich die Haare waschen und legen und in der Sonne trocknen lassen.
Für das Gemüse, das Salvatore von Zeit zu Zeit aus seinem Garten brachte, wollte er selbstverständlich keine Bezahlung annehmen. Jedesmal streckte er die Hände abwehrend aus, wenn Anna nach ihrer Geldbörse griff. »Ich bringe es doch aus Freundschaft, Signora.«
»Ich weiß, ich weiß.«
Der Freundschaftspreis, den Anna ihm schließlich in die Hand drückte, lag etwas über dem Preis, den sie auf dem Markt hätte bezahlen müssen. Und Salvatore steckte das Geld in Gottes Namen ein. Er wollte die Signora nicht kränken.
Anna winkte mit
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