Ein Herz bricht selten allein
eingebildet. Ich frage mich nur, worauf«, knurrte er. Er malte mit den Fingern ein N in den Sand und kreuzte es aus. Nancy war für ihn abgeschrieben.
Nancy rückte näher an ihn heran, beunruhigend nah, dieses sportliche, schön gewachsene Geschöpf. Der Blick ihrer grauen Augen ruhte forschend auf ihm. »Sie haben nichts von Ihrer Mutter, absolut nichts«, stellte sie fest.
»Ich weiß. Zu Mamas größtem Ärger. Sie hätte mich so gern nach ihrem Ebenbild geknetet. Man kann es verstehen. Jede Mutter möchte gern einen Sohn, auf den sie stolz sein kann. Ich aber bin faul. Faulheit als Weltanschauung, verstehen Sie. Und was die Ordnung betrifft, so ist sie ganz einfach eine Fiktion ängstlicher kleiner Geister. Warum muß man abends seine Schuhe Spitze an Spitze vors Bett stellen? Oder seine Bücher mit braunem Packpapier einbinden? Meine Mama ist mir mit ihrer Ordnung so entsetzlich in den Ohren gelegen, daß ich so frei war, von einem gewissen Alter an über diesen überlieferten Unfug nachzudenken.«
»Und dann haben Sie sich entschlossen, ein Schlamper zu werden?«
»Ja, genau das.«
»Und faul sind Sie auch? Darf ich fragen, warum?«
»Darf ich fragen, warum Sie nicht faul sind?«
»Woher wissen Sie das?«
»Man sieht es Ihnen auf den ersten Blick an. Sie gehören zu den Mädchen, von denen man sagt: Sie machen ihren Weg.«
»Hoffentlich. Haben Sie irgendwelche Einwände?«
»Wissen Sie, jeder macht seinen Weg. Nur habe ich mich entschlossen, nicht so viel Umwege zu machen wie die anderen Menschen.«
»Umwege wohin? Zum Erfolg?«
Poldi verzog das Gesicht und hielt sich die Ohren zu. »Ein grauenhaftes Schlagwort. Ich meine die Umwege bis zum Ende, bis zum sogenannten letzten Stündlein.«
Nancy richtete sich auf und schüttelte sich den Sand aus den Haaren. »Ich finde Ihre Theorie kindisch, eine läppische Auslegung der persönlichen Freiheit«, sagte sie. »Schwimmen Sie mit mir eine Runde, oder sind Sie selbst dazu zu faul?«
Poldi rührte sich nicht von der Stelle, als sie ins Meer lief. Er blinzelte ihr unter nahezu geschlossenen Lidern nach, wie er es heute früh getan hatte. Nancy war eine ärgerliche Erscheinung. Ärgerlich, weil sie ihn beschäftigte. Warum? Wie kam er dazu, sich von ihr anöden zu lassen, nur weil sie die Tochter von Mamas Jugendliebe war? Was hatte ihn überhaupt veranlaßt, zehn Kilometer in dieser Knallsonne hierherzumarschieren? Es gab weiß Gott hübschere und liebenswürdigere Mädchen und vor allen Dingen gescheitere. Und modernere. Nancy war beschränkt, verstrickt in bürgerliche Vorurteile und natürlich karrierebesessen wie all diese amerikanischen Ziegen. Er lief zum Meer und warf sich mit einem Hechtsprung ins Wasser.
Nancy war schon weit hinausgeschwommen. Als sie endlich umkehrte, schnitt Poldi ihr den Weg ab.
»Warum sind Sie eigentlich so patzig zu mir? Habe ich Ihnen was getan?« fragte er. Er war atemlos vom schnellen Schwimmen.
Nancy lachte fröhlich. Sie spritzte ihm Wasser in sein feierliches Gesicht. »Ich sehe in Ihren Augen die Mordlust. Am liebsten würden Sie mich ersäufen.«
Er schwamm schweigend neben ihr her, und als sie am Ufer angelangt waren, warf er sich neben ihr in den Sand und grollte.
»Haben Sie Ihr Auto hier unten oder oben am Hotel geparkt?« fragte sie.
»Ich besitze kein Auto. Ich besaß nie eines, und wahrscheinlich werde ich nie eines besitzen.«
Das saß. Er hatte es nicht anders erwartet. Nancy starrte ihn fassungslos an. »Wie sind Sie denn dann hierhergekommen?« wollte sie wissen.
»Zu Fuß. Und die letzten sechs Kilometer hat mich ein Italiener mitgenommen.«
Sie lag auf dem Rückeri und holte tief Atem und lächelte. Sie wußte, daß sie nicht hübsch im landläufigen Sinn war, aber sie wußte auch, daß sie ihm gefiel, und überraschenderweise war sie glücklich darüber. »Wissen Sie, was Sie sind? Für mich sind sie ein als Strolch verkleideter, etwas zu weicher und daher gern etwas ruppiger, stinknormaler Mann.«
»Danke, das wollte ich nur hören, und deshalb bin ich auch stundenlang in dieser Affenhitze hierhergepilgert.« Er stand auf und reckte sich. »Ich habe noch eine finanzielle Angelegenheit zu erledigen, ich haue ab. Per sempre«, sagte er halb im Gähnen.
»Was heißt per sempre?«
»Für immer. Arrivederci.«
»Tschau, Poldi.«
Er bückte sich und warf eine Handvoll Sand auf Nancys Bauch. Dann schlenderte er davon.
Aber als er ein paar Schritte gegangen war, rief sie ihm zu: »Da kommt
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