Ein Herz bricht selten allein
bist du denn überhaupt auf den Gedanken gekommen?«
»Es war nur eine dumme Wette
mit Nancy«, warf er hin.
»Du hast dich mit ihr ziemlich
angefreundet, was?«
»Was heißt angefreundet«,
brummte er unwirsch, trank seinen Tee und schob die Tasse weg.
»Du hast ja heute fast nichts
gegessen. Möchtest du nicht noch ein Brötchen mit Salami?«
»Nein, danke.« Ihm war der
Appetit vergangen. »Du witterst natürlich schon wieder eine tolle
Liebesgeschichte zwischen Nancy und, mir.«
Das Schilf, das die zwischen
den Felsen zum Meer hinunterführende kärgliche Wasserader anzeigte, bewegte
sich, und dann sprang Patrizia daraus hervor, flink wie eine kleine Ziege. Sie
hüpfte in den viel zu großen Schuhen ihrer älteren Schwester im Zickzack über
das Gestein und landete atemlos bei Anna. »Ein Brief, Signora«, sagte sie und
rollte die dunklen Augen, als verkünde sie eine wunderbare Botschaft.
Anna küßte sie und gab ihr zwei
von den Kaugummizigaretten, die sie immer bei sich in der Tasche trug. Patrizia
blieb am Tisch stehen, bohrte in der Nase und starrte Poldi an.
»E lui? Dov’ è la barba?«
Poldi fand die Musterung der
jungen Dame mit der maikäferbraunen Haut lästig. »Was sagt sie?«
»Sie will wissen, ob du es bist
und wo dein Bart hingekommen ist.« Anna riß den Brief auf. »Er ist von Franzi«,
sagte sie.
»Was schreibt denn unser
Küken?«
Anna überflog den Brief.
»Nichts Besonderes. Sie findet es herrlich in Jersey. Ich glaube, sie ist in
Evelyne richtig verknallt. Sie ist jetzt in dem Alter, wo man Freundinnen
stürmisch liebt.«
»Daß ich nicht lache! In welchem
Jahrhundert lebst du eigentlich, Mama?« fragte Poldi trocken.
»Franzi hält sich noch ‘raus
aus Männeraffären. Nicht, daß ich mich moralisch darüber empörte, ich bin nicht
so ahnungslos, wie du denkst. Aber ich kenne Franzi besser als du. Bei ihr muß
es die ganz große Liebe sein.«
»Na und? Wer sagt dir, daß sie
diese ganz große Liebe nicht längst irgendwo aufgegabelt hat? Du bildest dir
immer ein, deine Kinder ganz genau zu kennen. Aber du hast keine blasse Ahnung,
laß dir das von mir sagen.« Mit seinem Kampfgeist war auch sein Appetit neu
erwacht. Er aß den Rest seines Haferbreis und machte sich dann die Semmel mit
Salami, die er vorher abgelehnt hatte, zurecht. »Hättest du etwas dagegen...«,
begann er kauend, schon im Stehen.
»Nein«, fiel ihm Anna ins Wort.
»Aber du mußt tanken. Nimm dir Benzinscheine. Sie liegen im Schrank oben
links.«
Poldi, die Wurstsemmel in der
Hand, verzog sich ins Haus. Anna strich Patrizia das wirre dunkle Haar aus der
Stirn. »Setz dich hierhin und warte auf mich. Ich komme mit dir ‘rauf in den
Ort«, sagte sie und steckte sich ihre Frühstückszigarette an. Sie hatte sie zur
Hälfte geraucht, als Poldi mit ihrem Wagen abbrauste. »Tschau, Mama«, winkte er
zurück.
Als Poldi mit ihrem Wagen außer
Sichtweite war, ging Anna ins Haus, zog sich ihre Leinenschuhe an, holte das
Bündel Geldscheine unter ihrem Kopfkissen hervor und ließ es in einer Tragtüte
verschwinden. Dann machte sie sich mit Patrizia auf den Weg. Sie hatte Don
Vincenzo, den Pfarrer, zum Verwalter des Diebesgutes auserkoren. Er sollte es
so lange in seine fromme Obhut nehmen, bis Licht in die Angelegenheit kam.
Aber Don Vincenzo war aufs
Festland gefahren und würde vor dem späten Abend nicht zurück sein. Gut, dann
werde ich meine Bürde einfach bei der Polizei abliefern, beschloß Anna.
Sie begegnete dem freundlichen
kleinen Polizisten auf der Piazza im Gespräch mit dem dicken Metzger. Der
kleine Polizist schickte aus den Augenwinkeln heraus sein pfiffiges Lächeln
nach allen Seiten. Die Tragtüte in Annas Hand wurde schwer und schwerer. Ihr
achtbares Unternehmen würde einen Rattenschwanz von Protokollen und
unangenehmen Fragen nach sich ziehen. Dio mio! Die nette Signora, die von Peppo
das Grundstück gekauft hatte und darauf ein Haus bauen wollte, hatte eine
Tochter, deren Geliebter geklaut hatte. Verrückt werde ich sein und mich und
meine Sippe hier in den Ruf einer Hehlerbande bringen, dachte Anna, lief in den
Tabakladen, kaufte zwei Pakete von Poldis bevorzugten Zigaretten, eine
Sprühdose gegen Moskitos und einen neuen Kugelschreiber. Ab heute sollte wieder
tüchtig gearbeitet werden, der Schornstein mußte rauchen!
Drei Tage lang feuerte der
Schirokko seine Garben heißer, feuchter Winde gegen die Insel ab. Alles stöhnte
und blickte gekränkt in den verschleierten grauen
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