Ein Herz bricht selten allein
zu
leicht durch Bettinas Kehle, und Ludwig Seggelin begann plötzlich als Mann für
sie zu existieren. Er gefiel ihr.
Der alte Herr, der ein
leidenschaftlicher Anhänger der Homöopathie war, hatte einen Halbkreis bunter
Kügelchen vor seinem Gedeck aufgebaut, steckte das eine oder andere Kügelchen
zwischen den einzelnen Gängen in den Mund und spülte es mit einem kräftigen
Schluck Wein und einem ruck artigen Zurückwerfen seines Kopfes hinunter. Nach
dem Essen empfahl er sich mit erkennbarer Eile.
»Adriana und er sind
fernsehsüchtig. Sie hocken nebeneinander und schauen sich Abend für Abend den
ganzen Schmus an, der so abrollt«, erklärte Seggelin. »In der Küche. Dorthin
habe ich den Zauberkasten verbannt.«
Über die Dachterrasse hinweg
sah man das tausendfache Geflimmer des nächtlichen Mailand. Seggelin trat mit
Bettina ins Freie. Er rückte einen Schaukelstuhl für sie zurecht und blieb vor
ihr stehen. »Wollen Sie, daß ich Licht mache?« fragte er sie.
»Nein. Wegen der Mücken«, fügte
sie rasch hinzu.
»Hier gibt’s keine Mücken.«
»Ich mag trotzdem kein Licht.«
Plötzlich beugte er sich über
sie und küßte sie, und Bettina, keineswegs empört, wehrte sich nicht. Sie
öffnete ihm ihre Lippen und legte die Arme um seinen Hals.
»Das mußte leider sein«, sagte
er, als er sich wieder aufrichtete. »Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, vom
ersten Augenblick an, als ich Sie verkatert in Ihrem Bett liegen sah, und es
hat mich sehr in meinen Überlegungen gestört«, fuhr Herr Seggelin fort. »Jetzt
ist mir besser.«
»Das freut mich. Kann ich sonst
noch etwas für Ihr Wohlergehen tun?«
»Sie geben sich so allwissend
und überlegen, aber im Grunde sind Sie unbeholfen, mit den Füßen kaum auf der
Erde. Sie sind ein merkwürdiges Mädchen.«
»Frau«, verbesserte Bettina.
»Frau und Mutter.«
»Oh...?«
»Ich habe eine kleine Tochter
in Deutschland, die ich mir natürlich erkämpfen werde, wenn ich mich von meinem
Mann scheiden lasse.«
»Sie sollten sich nicht
scheiden lassen, wenn Sie ein Kind haben. Oder Sie hätten kein Kind haben
dürfen, wenn Sie sich die Scheidung so leichtmachen.«
Adriana erschien nahezu
geräuschlos. Sie schob einen fahrbaren Tisch heran, auf dem in irisierenden
Glasschalen süße Knabbereien, kandierte Früchte und Salzmandeln, zwei Karaffen
mit verschiedenen Weinen und vier Gläser angerichtet waren, und verschwand
wortlos, wie sie gekommen war.
»Sie ist auf Schäferstündchen
gut gedrillt, was?« bemerkte Bettina.
»Das Gegenteil ist leider der
Fall. Sie traut mir kein Schäferstündchen zu«, erklärte Seggelin betrübt. »Sie
haben ja bemerkt, daß sie, ohne anzuklopfen, erscheint. Sie glaubt, daß der
Abend mit Ihnen sich durch nichts von einem der Abende unterscheidet, die ich
mit Geschäftsfreunden verbringe.«
Bettina betrachtete ihn über
das regenbogenfarbene Glas, das er ihr reichte. »Sie haben mich völlig in der
Hand mit dieser gräßlichen Geldaffäre.«
»Eben, das macht die Sache ja
so kompliziert. Für mich, nicht für Sie.«
Seggelin rückte seinen Stuhl
ganz nah an Bettinas heran, nahm ihre Hand und küßte sie auf die Innenfläche.
Bettina durchrieselte es. Sie wäre gern von ihm in den Arm genommen worden.
Aber schon legte Seggelin ihre Hand zurück auf die Seitenlehne ihres Stuhles.
Er sagte: »Warum essen Sie
nicht von dem Gebäck? Adriana hat es selbst gebacken.«
»Adriana! Adriana interessiert
mich nicht«, stieß Bettina unbeherrscht hervor. »Sie sind ein Holzklotz.«
»Da mögen Sie recht haben. Aber
haben Sie schon mal einen Holzklotz lichterloh brennen sehen?« fragte er mit
Bedacht.
Also doch die Schlafzimmertour.
Bettina hatte ihn dazu herausgefordert, und jetzt kam es ihr banal vor. Vor ein
paar Minuten hatte er noch gesagt, sie solle zu Mann und Kind zurückkehren.
Bettina versuchte sich
vorzustellen, was Bernhard in diesem Augenblick tat. Saß er in seinem
Arbeitszimmer und zeichnete? Las er? Löste er Kreuzworträtsel? Hielt er mit
Lisa Händchen im Kino? Vielleicht tauschte er Gedanken mit ihr aus, wie er
seine intimen Beziehungen zu Bettinas bester Freundin anfangs genannt hatte.
Ludwig Seggelin hatte sich eine
Pfeife gestopft. Sah ihm ähnlich. Jetzt spielte er sich als überlegener
Weltmann auf. Sie war ihm böse, daß er so dicht neben ihr saß und behaglich
seine Pfeife rauchte, anstatt ihr ein paar nette oder wenigstens tröstliche
Dinge zu sagen.
»Ich möchte noch etwas
trinken.« Bettina
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