Ein Herzschlag bis zum Tod
Madeleine befreien wollte. Ich dachte an die Frau, die den Fehler begangen hatte, sich in Claude zu verlieben und seiner Schwester so weit zu vertrauen, dass sie mit ihr eine einsame Straße entlangfuhr. Ich dachte an Madeleine, die emotional derart verkrüppelt gewesen war, dass der vermeintliche Treubruch ihres Bruders in einer solchen Katastrophe geendet hatte.
Wenn ich schlief, träumte ich, ich wäre im See und könnte nicht atmen. Manchmal griff ich nach Madeleines Hand und rettete sie; dann wieder zog sie mich mit sich in die Tiefe. Und manchmal drückte ich sie unter Wasser.
Immer rang ich nach Luft, wenn ich aufwachte.
Davon erzählte ich Baker nichts; ich wollte sie nicht mit meinen Albträumen anstecken. Alyssa verriet ich ein bisschen mehr.
Am meisten sprach ich jedoch mit Jameson. Wir trafen uns alle paar Tage um die Mittagszeit, besorgten etwas zu essen und setzten uns auf eine Parkbank mit Blick auf den Rideau |332| Canal. Manchmal aßen wir nur. Dann wieder erzählte er mir von den neuesten Entwicklungen im Fall. Manchmal redete nur ich, und er hörte zu.
Claude hatte Geld aus Philippes Firma unterschlagen, was inzwischen fast nebensächlich erschien. Die fehlgeleitete Lösegeldforderung war tatsächlich nur auf ein Versehen bei der Post zurückzuführen. Die Uhr neben dem Wagen war es gewesen, die die Polizei zu der Vermutung gebracht hatte, dass man Philippe den Mord in die Schuhe schieben wollte – es war einfach ein bisschen zu viel gewesen.
Ich fragte Jameson, ob Claude wohl jemals vermutet hatte, dass es die Leiche seiner Freundin sein könnte. Er zuckte nur mit den Schultern.
Vielleicht war es Claude einfach leichter gefallen, sie für Madeleine zu halten – denn sonst hätte er sich eingestehen müssen, wer die tote Frau war und wer sie umgebracht hatte.
An einem bedeckten Nachmittag erzählte mir Jameson, dass Madeleine in der neunten Woche schwanger gewesen war, als sie starb. Vince hatte nichts davon gewusst. Man musste kein Genie sein, um es zu begreifen: Als sie erfuhr, dass sie schwanger war, hatte sie beschlossen, Paul loszuwerden. In sechs Jahren hätte sie dann vielleicht den Spaß an ihrem derzeitigen Leben verloren oder wäre wütend auf jemanden gewesen, und der gleiche Kreislauf hätte von neuem begonnen.
Jameson wusste, dass ich an das ungeborene Baby dachte, das mit ihr ertrunken war, und sagte rasch: »Wer hat Sie ins Wasser gestoßen, Troy? Wer hat auf Sie geschossen? Wer hat Ihnen den Arm gebrochen?«
Natürlich hatte er recht. Hätte ich irgendetwas anders gemacht, wenn ich von ihrer Schwangerschaft gewusst hätte? Das würde ich nie erfahren. Aber ich wusste, dass ich heute tot wäre, wenn ich während unseres Kampfes auch nur eine Sekunde gezögert hätte.
Ich erzählte ihm und nur ihm, was ich mit Madeleine auf |333| dem Boot erlebt hatte und wie abgrundtief böse sie gewesen war. Ich erzählte ihm, dass ich mir Vorwürfe machte, weil ich Marguerite nicht früher erkannt hatte, weil ich nicht gemerkt hatte, dass sie ein Leben lebte, das eigentlich nicht ihres war. Sicher, am Anfang war sie mir nicht recht sympathisch gewesen, aber ich war davon ausgegangen, dass es mein übliches Unbehagen in Gesellschaft makellos gekleideter und frisierter Frauen war. Dennoch hatte ich ihre Anziehungskraft erkannt; ich sah, wie sie Leute mit ihrem Charme bezaubern und ihnen das Gefühl geben konnte, wichtig zu sein.
Jameson holte tief Luft und setzte zu der längsten Rede an, die ich je von ihm gehört hatte. »Sie hat alle getäuscht, Troy. Ihre Freunde, Philippe, Vince und sogar ihren eigenen Bruder. Sie war ein Profi – eine professionelle Psychopathin, eine professionelle Lügnerin, eine professionelle Schauspielerin, eine professionelle Mörderin. Glauben Sie nicht, Sie hätten das erkennen oder verstehen können.« Ich kämpfte mit den Tränen. »Sie, Troy, haben sie gestoppt. Sie haben gewonnen. Sie haben Paul gerettet. Sie haben sich selbst gerettet. Sie haben all diesen Menschen die Chance gegeben, ein neues Leben zu beginnen. Selbst Claude. Sie haben etwas Gutes getan.« Er griff nach vorn und schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
Da flossen meine Tränen. Danach fühlte ich mich schwach, aber besser.
Ich blieb sechs Wochen in Ottawa. Wir wanderten durch den Gatineau-Park. Wir schauten uns alle Filme an, die für Paul geeignet waren, und ließen ihn gelegentlich bei Elise, wenn wir allein ins Kino wollten. Wir probierten Restaurants aus und lachten, wenn
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