Ein Herzschlag bis zum Tod
man nicht wissen.
Gegen Mittag traf Alyssa ein. Sie schaute mich kurz an. »Ach, Troy.« Am liebsten hätte sie sich wohl auf die Bettkante gesetzt und mich umarmt. Angesichts meiner Verbände hielt sie es jedoch wie Jameson und ergriff meine Hand. Daraufhin verlor ich die Fassung und brach wieder in Tränen aus.
Wie erwartet hatte sie bereits mit der Polizei gesprochen. Nun brauchte sie für ihren Artikel nur noch ein Interview mit mir. »Fühlst du dich dem gewachsen?«
Eigentlich nicht, aber ich stimmte zu, vielleicht würde es mir guttun. Sie schaltete ihr Aufnahmegerät ein und stellte mir Fragen, während sie sich zusätzliche Notizen machte. Dann schaltete sie das Gerät aus und legte den Stift beiseite.
Nun erzählte ich ihr noch mehr: wie sich Madeleine angehört hatte, wie sie mich ansah, wie ich nach ihr gegriffen hatte, als sie unterging. Sie hörte zu, und genau das brauchte ich. Allmählich lernte ich, mich auf andere Menschen zu verlassen und nicht alles mit mir allein auszumachen.
Es fiel uns beiden schwer, die Vorstellung zu akzeptieren, dass Madeleine eine Frau getötet hatte, um ihrem Ehemann den Mord an ihr selbst in die Schuhe zu schieben. Alyssa wies mich auch darauf hin, dass Madeleine im Grunde einen Mord an sich selbst begangen hatte, bei dem sie sich selbst tötete, um als Marguerite aufzuerstehen.
Wir überlegten uns, wie sie wohl vorgegangen war. Wir wussten, dass Madeleine das Foto von Philippe und mir in der Online-Ausgabe der Zeitung gefunden haben dürfte; vermutlich hatte sie einen Google Alert für Philippes Namen gestartet. Das Foto hatte eine Explosion in ihr ausgelöst – ich hätte gewettet, dass sie noch am selben Tag nach Ottawa gefahren |327| war. Mir wurde ganz schlecht, wenn ich mir vorstellte, dass Madeleine beobachtet hatte, was im Haus vorging, wie Paul zur Schule gebracht wurde und ich auf mein Fahrrad stieg.
Mein Name unter dem Foto hatte sie wahrscheinlich zu meinem Twitter-Account und der Anzeige bei Craigslist geführt. Es war nicht weiter schwer gewesen, mich nach Burlington zu locken. Ich hatte reagiert wie ein Pawlow’scher Hund, war in die Stadt gereist, hatte den Französischclub besucht, die Einladung zum Abendessen und zum Yachtausflug angenommen. Die ganze Zeit über hatte sie mich an der Nase herumgeführt und auf den richtigen Moment gewartet, um mir den entscheidenden Hinweis zu geben, der mir die Augen öffnen würde.
»Ich wusste ja, dass es eine tolle Geschichte wird, aber das hatte ich nicht erwartet«, sagte Alyssa, als sie ihre Sachen einpackte und losging, um ihre Geschichte zu schreiben. Auf dem Weg zur Tür salutierte sie scherzhaft. »Mach’s gut.«
Die Story schaffte es auf die Titelseite. Am Rand gab es einen zusätzlichen Bericht über Madeleine/Marguerite, die Frau eines prominenten Mitglieds der Universität, die gar nicht seine Frau gewesen war. Philippe hatte mit Alyssa gesprochen, da er hoffte, die Presse werde ihn in Ruhe lassen, sobald er ein Interview gegeben hatte. Sie schrieb gut, doch trotz ihrer Zurückhaltung war es eine sensationelle Geschichte. Eine Presseagentur stürzte sich darauf, und bald verbreitete sich die Neuigkeit in den USA und Kanada.
Alyssa hatte mich gewarnt, dass so etwas passieren würde, und ich rief Simon an, um den Schaden für die Familie zu begrenzen. Er sagte, er wolle unsere Eltern und Schwestern verständigen, damit sie nicht völlig durchdrehten, und fragte, ob er zu mir kommen solle. Ich lehnte ab. Er sagte nicht viel, aber er ahnte wohl, was in mir vorging. Philippe rief Zach und Baker für mich an, weil mir noch nicht danach zumute war.
Ich trug jetzt einen schimmernden Gipsverband und war |328| froh, dass ich brav meine Krankenversicherung bezahlt hatte. Die Schulterwunde hatte sich zum Glück nicht entzündet, weil das kalte Seewasser sie wohl saubergewaschen hatte. Der Arzt erklärte, ich könnte entlassen werden. Ich führte ein letztes Gespräch mit der Polizei von Burlington, und Jameson kam vor der Rückfahrt nach Ottawa noch einmal vorbei.
Er sagte, die Entführer leugneten, an dem Mordversuch beteiligt gewesen zu sein. Sie hatten Paul über die Grenze gebracht, versteckt im Radhaus des Autos, eine Vorstellung, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Allerdings hatten sie damit gerechnet, dass er irgendwann freigelassen würde. Als Madeleine befohlen hatte, sich seiner zu entledigen, waren sie stattdessen in eine andere Wohnung gezogen und hatten auf eigene
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