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Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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Schwindel; sie ahmen das charakteristische Niesen der Pestkranken nach; sie singen von Blumensträußen, um die Ansteckung zu bannen. Und dann fallen alle kichernd zu Boden.
    Als LaPointe ein kleiner Junge war, in Trois Rivières, spielte auch er abends auf der Straße. Im Sommer saßen die Erwachsenen alle draußen auf den Vortreppen, weil es ihnen drinnen zu stickig war. Die Männer hatten nur ihre Unterhemden an und tranken Bier aus der Flasche. Und die alte Tarbieau, die auf der anderen Straßenseite wohnte und dauernd fremder Leute Zwiebeln goß. Die tat immer, als kümmere sie sich um die Sorgen ihrer Mitmenschen, nur weil sie rauskriegen wollte, was mit ihnen los war. LaPointes Mutter konnte die alte Tarbieau nicht ausstehen. Er hatte nur ein einziges Mal gehört, wie seine Mutter ein nicht ganz salonfähiges Wort aussprach, und das war, als ihr Madame Tarbieaus Rumschnüffelei zuviel wurde. Eines Abends, als alle draußen auf den Treppen saßen, rief die alte Tarbieau quer über die Straße: »Madame LaPointe? Hab' ich nicht heute den Mieteintreiber aus Ihrem Haus kommen sehen? Ist doch erst Monatsmitte. Ich dachte immer, Sie zahlen Ihre Miete so wie ich.« Und LaPointes Mutter erwiderte: »Nein, Madame Tarbieau. Ich zahle meine Miete nicht wie Sie. Ich zahle mit Geld.«
    Arme Madame Tarbieau, sie war schon alt, als LaPointe ein Junge war. Jahrelang hat er nicht mehr an sie gedacht. Er sieht die alte Gschaftlhuberin vor seinem geistigen Auge und denkt: ist wahrscheinlich zum erstenmal seit einem Vierteljahrhundert, daß sich einer an sie erinnert. Und wahrscheinlich wird es auch das letzte Mal sein, daß sie in jemandes Erinnerung auftaucht. Wenn das so ist, dann ist es aus mit ihr … restlos aus.
    Das Prickeln in Brust und Armen hat aufgehört. Er steckt die Fäuste wieder tiefer in die Taschen und geht weiter zu dem Schnapsladen, mal im Schatten und mal im Licht, wo die Gören von Treppe zu Treppe flitzen wie Stare an einem Sommerabend.
    In jenem Sommer, als sein Vater auf Nimmerwiedersehen verschwunden war, hatte LaPointe das Spielen mit den anderen Kindern auf einmal satt gehabt. An den langen Sommerabenden zog er von nun an alleine durch die Straße und sah durch frisch gezogene elektrische Drähte zum Mond empor. Der Mond glitt über die schwankenden Drähte und folgte ihm. Da machte er ganz schnell kehrt und ging die Straße wieder rauf, und der Mond folgte ihm immer noch. Plötzlich blieb er stehen, ging wieder weiter, aber der Mond ließ sich nicht austricksen. Als er einmal rannte, stehenblieb und dabei immer emporschaute und ein bißchen schwindelig war, stellte er zu seiner Verblüffung fest, daß die Verrückte, die am Ende des Häuserblocks wohnte, neben ihm stand. Sie grinste erst, dann lachte sie krächzend. Sie zeigte mit dem Finger auf ihn und sagte, er sei ja auch ein fou wie sie, und sie würden beide Seite an Seite in der Hölle brutzeln.
    Er war weggerannt und hatte die ganze Woche lang Alpträume. Er erschrak bei dem Gedanken, er könnte verrückt werden. Vielleicht war er schon verrückt. Woher weiß man denn, ob man verrückt ist? Wenn man verrückt ist, ist man zu verrückt, um zu wissen, daß man verrückt ist. Was heißt überhaupt ›verrückt‹? Man sage das Wort immer und immer wieder vor sich her, und der Sinn verdunstet, bis nur noch eine Klanghülse übrigbleibt und man sich immer und immer wieder Laute ohne jede Bedeutung hersagen hört.
    Das war der letzte Sommer, den er auf der Straße verspielt hatte. Den Winter drauf starb seine Mutter an der Grippe. Großpapa und Großmama waren schon tot. Er ging ins St.-Joseph-Heim. Und vom Heim ging er zur Polizei.
    LaPointe hält seine Augen fest geschlossen und holt sich wieder in die Gegenwart zurück. Er hat sich in letzter Zeit häufig bei solchen Tagträumen ertappt.
    Er muß über sich selber lächeln. Das ist nun wirklich verrückt.
    Der griechische Verkäufer, ein Mann in mittleren Jahren, schaut auf und lächelt, als LaPointe den leeren Schnapsladen betritt. Er hat den Lieutenant bereits erwartet und greift nach der Flasche Roten, die LaPointe immer zu seinen Pinochle-Abenden zweimal in der Woche mitnimmt.
    »Na, geht's gut?« fragte LaPointe, als er den Wein bezahlt.
    Der Grieche schluckt und knurrt: »Ja, prima, Lieutenant.« Er schluckt wieder. »Theo hat geschrieben. Hab' den Brief …« Er schluckt noch mal. »… heut früh gekriegt.«
    »Wie geht's ihm?«
    »Gut. Kommt demnächst auf Bewährung raus.«
    Es war

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