Ein Hund namens Gracie
herumstreunen, damit sie sich in ihrem eigenen Tempo mit ihrer neuen Höhle vertraut machen konnte. Ich war mit dem Kochen an der Reihe, und ich machte ein leichtes Nudelgericht, deckte Marks Schüssel ab und ließ mich auf dem Sofa vor dem Fernseher nieder. Um die Stromrechnung bezahlen zu können, ließen wir die Lichter nur in dem Zimmer an, in dem wir uns gerade befanden. Im Wohnzimmer war es das gedämpfte Licht, das meine geliebte Elvis-Lampe abgab - eine Keramikskulptur des Kings in seinem weißen Vegas-Anzug, ungeachtet des Messingrohrs, das sich durch seinen Scheitel bohrte. Plötzlich hörte ich ein Geräusch, das mir durch Mark und Bein ging. Meine Gabel schwebte in der Luft. Noch mal! Es war ein Geräusch, bei dem sich mir alles zusammenzog, so wie dieses schrappende Quietschen, wenn man mit den Nägeln an eine Tafel kommt. Ich bemühte mich, in dem Tunnel der Angst, in den ich abgetaucht war, einen Gedanken zu kristallisieren, aber es war nichts zu machen. Dann der Krach - noch mal!
Wahrscheinlich geschah es uns ganz recht. Wahrscheinlich hätten wir mit einem Geist rechnen müssen. Ich habe keine Ahnung. Vor ein paar Monaten, als wir unsere Ersparnisse zusammengekratzt hatten, um eine Anzahlung auf dieses massive, hundert Jahre alte Zehn-Zimmer-Haus zu machen, dachten wir nicht so sehr an Geister als vielmehr daran, das Haus vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Alles, was wir über seine Geschichte wussten, war, dass es viele Jahre lang als Heim für geistig behinderte Jungen genutzt worden war.
Einer unserer Freunde, ein ganz Schlauer, meinte nur, wenn wir das Haus kauften, bliebe es seiner Tradition treu, nach der dort immer nur Jungs mit Problemen wohnten. Tatsächlich hatten wir uns vor dem Hauskauf gefragt, ob wir nicht ein oder zwei Geister beherbergten. In Ordnung, ich habe mich das gefragt. Ich fand, in hundert Jahren musste da einfach einer gestorben sein. In meinem deformierten Gemüt spielten sich Szenen von gepeinigten, halb verhungerten Jungen ab, die von ihren sadistischen Aufsehern geschlagen wurden und in Zwangsjacken durch mondbeleuchtete Flure strichen, wobei sie hilflos stöhnend ihr Schicksal beklagten. Wahrscheinlich sollte ich gleich an dieser Stelle betonen, dass wir nie irgendetwas gehört haben, was solche Szenen auch nur im Ansatz nahe gelegt hätte. Das spielt aber gar keine Rolle. Tatsache ist, dass ein Großteil meiner Allgemeinbildung aus der Gewohnheit resultierte, in den Jahren zwischen neun und zwölf Horrorfilme zu sehen - und diesen Teil meiner Bildung ließ ich nicht vor die Hunde gehen. Ich hatte Mark gegenüber die Geisterjungen nicht erwähnt, weil... na ja, weil er einfach zu nüchtern ist, um Dingen auf den Grund zu gehen, die sich einer wissenschaftlichen Beschreibung entziehen. Jetzt wünschte ich mir, ich hätte es ihm gesagt, aber jetzt war es zu spät. Zu spät...
Noch mal! Der Lärm schwoll an, kam näher. Was war das? Im selben Moment wusste ich es, als hätte ich es mein ganzes Leben gewusst. Es waren die Geister der angeketteten Jungen, die den Hungertod erlitten hatten, und die jetzt den Gang hinuntertaumelten wie ein ganzes Bataillon monströser Frankensteins, langsam, aber sicher in Richtung des einen und einzigen, das den grausigen Hunger ihrer gefolterten Seelen sättigen konnte - Menschenfleisch!
Gerade, als ich dachte, ich müsse explodieren, wenn ich nur noch eine Sekunde bewegungslos auf der Couch sitzen blieb, schwand das Geräusch und das Haus war beklemmend still. Dann ging es wieder los, dieses kratzende Schaben, diesmal sogar noch näher - so nah, es hörte sich so an, als käme es von der anderen Seite der Wand. Kurz bevor das Hämmern in meiner Brust meine Rippen knackte, drehte ich mich um und erkannte die Ursache des Geräusches: Dort, in dem dunklen widerhallenden Flur lief die kleine Gracie, summte vor sich hin und schlurfte mit ihren überdimensionalen Pfoten auf den Dielen entlang, wobei sie jeden Zentimeter ihres Wegs beschnupperte.
Selbstverständlich war ich ziemlich erleichtert zu entdecken, dass es nur mein kleiner Hund war, der sein neues Heim untersuchte, und keine Geisterhorde. Es stellte sich heraus, dass Gracie noch nicht gelernt hatte, dass man beim Gehen die Füße anhebt, weil es ihr niemand beigebracht hatte. Als die anderen in ihrem Wurf in Hundefragen grundsätzlicher Natur unterrichtet worden waren, wurde die kleine Gracie übergangen und ihrem Schicksal überlassen. Deswegen schlurrte sie jetzt so - aber dank
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