Ein Jahr in Australien
Nummer 7/63 längst jemand anderes. Letzter Arbeitsplatz, an dem Sie mehr als fünf Monate tätig waren? Das wurde ja immer besser. Ich beschloss, meiner Bewerbung eine Bankauskunft beizulegen und dazu den Schrieb einer Zeitung mit englischem Namen, der besagte, dass ich ihre heiß geliebte, feste Korrespondentin sei. Das stimmte zwar nicht ganz, sah aber gut aus. Und allmählich mussten schärfere Waffen her. Ich wollte endlich eine Adresse haben, wollte morgens surfen, tagsüber arbeiten und zwischendurch viel Kaffee trinken und dabei auf Meer schauen. Dieser Makler musste mich wollen. Mister Plumer war schlank, groß und trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd, die Uniform aller männlichen Immobilienmakler in Sydney, bei 13 wie bei 30 Grad. Angelegentlich blätterte er meine Zettel durch und gab mir fast beleidigt den Kontostand wieder: Das dürfe er gar nicht sehen, „Datenschutz“, murmelte er und hob genervt die buschigen Augenbrauen. Der Financial-Times-Brief beeindruckte ihn schon eher. Ob ich denn genug Jobs für zwölf Monate hätte – so lange war nämlich die Mindestmietfrist. „Oh, äh, oh, well“, stammelte ich und log dann beherzt: „Of course“. Schier turmhohe Stapel von Aufträgen aller möglichen Magazine hätte ich in der Tasche, kaum zu überblicken. „Das ist eher Arbeit für zwei Jahre als für eins“, stöhnte ich rasant übertreibend. Wer hatte noch mal gesagt, Lügen seien am besten an ihren unnötig detaillierten Extra-Erklärungen zu erkennen? Egal, was wusste Tim Plumer schon vom deutschen Mediengeschäft?!
Er sah mich amüsiert an, steckte die Papiere in seine Aktenmappe und wurde etwas netter. Na, das sei ja schön für mich, wenn ich so gut zu tun hätte. Montag vor elf Uhr würde er gegebenenfalls anrufen. Die Entscheidung fälle im Übrigen nicht er, sondern der Besitzer. Auf seine Empfehlung hin natürlich. Jetzt lachte er tatsächlich. Klang das nichtein bisschen höhnisch? Machte der sich über mich lustig? War er nicht vorhin mit dieser aufgerüschten Engländerin im so genannten sunroom verschwunden und hatte die Tür zugezogen? Musste man australische Makler eigentlich bestechen? Daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht! Ich grüßte unsicher und verließ die Wohnung über die steile Feuertreppe, um das Schicksal an meinen ersten Besuch zu erinnern. Dann schüttelte ich über meine Verschwörungsfantasien den Kopf. Langsam wurde ich neurotisch. Ganz eindeutig. Aber schließlich konnte ich nicht ewig im Hotel wohnen. Auch wenn es das allerreizendste Hotel mit dem allernettesten Dachgarten war, das ich kannte. Und auch wenn das Zimmer umsonst war, weil ich es mit dem allercharmantesten Israeli teilte, dem ich je begegnet war. Übrigens auch dem einzigen.
März
Meine australisch-israelische Eroberung bewohnte Zimmer Nummer 6 in besagtem Hotel. Außer 30 Studio-Suiten hatte es eine tropisch begrünte Dachterrasse mit Espressomaschine und Barbecue. Ein Traum. Von da oben konnte man sogar ein Stück Opernhaus sehen. Das Hotel lag zwischen der bourgeoisen Wohngegend Potts Point und dem Rotlichtmilieu von Kings Cross und war das zweite Zuhause von Architekten, Schauspielern, Malern, Fotografen und Sängern, die Engagements oder Ausstellungen in Sydney hatten. Viele kannten einander und alle schienen gut Freund mit dem Personal und den Besitzern zu sein, es war bunt, unterhaltsam und familiär. Der Herzbube allerdings gehörte weniger in die Kategorie der Künstler als in die der Lebenskünstler. Geboren war er in Nordafrika, aufgewachsen in Israel, die letzten zwanzig Jahre hatte er aufgrund verzwickter Familienverhältnisse in England, Amerika und Australien verbracht. Ein echter Globetrotter, weltgewandt und erprobt im Unterwegssein. Nicht zu vergleichen mit einer mäßig mutigen Neu-Weltenbummlerin wie mir, die nach ein paar Wochen in der Fremde schon dem eigenen Telefonanschluss nachtrauerte. Rafael fand sich überall zurecht, in New York wie in Paris oder am Rande der Sahara. Er brauchte weder eigene Möbel noch eine eigene Telefonnummer. Weil er zwischen Mitternacht und Morgengrauen Anrufe an Gäste weiterleitete, hatte mein kosmopolitischer Freund sein Hotelzimmer im Herzen von Sydney gratis und seine Tage fürsich. Weltoffen wie er war, hatte er auch nichts dagegen, zu teilen. Suite Nummer 6 mit eigener Küche war geräumig. Groß genug für das Chaos eines Menschen, weniger jedoch für das von zweien, auch wenn sie einander noch so reizend fanden.
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