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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julica Jungehuelsing
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Orientalischer Anything-goes-Mann trifft norddeutsche Alles-muss-seinen-Platz-haben-Frau. Praktizierender Lebenskünstler trifft eine, die genau das gerade erst lernen will. Da tickte eine Zeitbombe, gut hörbar, aber ich hatte keinerlei Lust, sie gerade jetzt zu zünden.
    Denn natürlich war es wunderbar, nicht völlig allein an diesem traumhaft schönen, aber doch ausgesprochen fernen Ende der Welt zu sein. Minus und minus macht plus, oder? Waren nicht zwei Heimatlose zusammen schon fast etwas Vertrautes? Meine eigenen vier Wände brauchte ich trotzdem. Außerdem war die Lage des Gratisquartiers ein Problem. Einerseits weil es von Potts Point aus bis zum surfbaren Teil des Meeres vierzig viel zu lange Minuten im Linienbus dauerte. Zum anderen lag Suite 6 zu einer Art Fußgängerpassage hin. Die war zwar hübsch bepflanzt mit Palmen und Hochbeeten, allerdings auch so geschickt angelegt, dass die Junkies der Nachbarschaft sie zu einer Art Kantine umfunktioniert hatten. Problemlos hätten wir im Fenster eine Drogenberatung aufmachen können. Ganz so nah brauchte ich die Großstadtrealität nun wirklich nicht. Mein Freund aus dem Maghreb hatte für das Problem eine gewohnt pragmatische Lösung gefunden. Er ließ Jalousien und Fenster geschlossen, die Temperatur regelte die Klimaanlage. Eine Folter für eine leicht klaustrophobe Hanseatin wie mich. Ich hatte als Baby halbe Winter „wegen der frischen Luft“ auf dem Balkon verbracht, in Norddeutschland, und setzte seither vermutlich unbewusst offene Fenster mit Überleben gleich. Mein australischer Orientale zuckte mit den Schultern und schüttelte grinsend den Kopf: „Relax, baby, take it easy!“
    Im Gegensatz zu einem gewissen Phlegma in alltäglichen Dingen war mein Gastgeber sonst eher rastlos. Das hatte ich geahnt, als ich ihn kennen lernte, und sehr genau gewusst, als ich ein Jahr später entschied, nach Australien zu fliegen. Länger als sechs Monate hielt es ihn selten am selben Fleck. Auf wenige seiner Landsleute, so witzelte er gern über sich selbst, treffe das Klischee vom Wandering Jew mehr zu als auf ihn. Aber schließlich war ich ja nicht seinetwegen hier, na ja, ein klitzekleines bisschen natürlich schon. Aber auf gar keinen Fall nur. Welche halbwegs klar denkende Person jenseits der dreißig würde einem reizenden Nachtportier mit braunen Augen zuliebe den Kontinent wechseln? Na eben. In ein paar Wochen wäre der schwarz gelockte Prinz – ganz unabhängig davon, wo ich gerade war – ohnehin verschwunden. Gen USA oder Israel oder Europa oder Laos oder sonst wohin, um schwierige Familienangelegenheiten zu klären und sein Fernweh zu lindern. Und mit ihm die mietfreie Suite. Höchste Zeit also, von Wolke Sieben in Richtung Wirklichkeit zu schweben. Es wurde Zeit für meine eigene Adresse, für einen eigenen Schreibtisch. Für einen, auf dem sich nicht exotische Kräuter, Ingwerwurzeln und Selleriestangen zwischen Negativbergen und Fotos türmten. Zeit für ein Zimmer mit, wenn möglich, zu öffnendem Fenster und einem Telefonanschluss, von dem aus nicht jeder Schwatz mit Hoteltarifen bestraft wurde. Apropos – war es nicht Zeit für Tim Plumer in Bondi Beach, endlich mal zum Hörer zu greifen? Ich sah auf die Uhr, zum vermutlich zehnten Mal in der letzten Viertelstunde. Seit dem Aufwachen hatte ich mich nicht vor die Tür gewagt, nicht einmal auf die Dachterrasse zum Frühstücken, obgleich es auch dort oben, zwischen Zitronenbäumen und Oliven, ein Telefon gab. Um 10.59 Uhr war ich beim vierten Milchkaffee und mein Nervengerüst flatterig wie Spinnweben im Sturm. Um zehn nach elf klingelte es endlich. Um zwölf nach elf rief Sebastian von derRezeption an und fragte höflich, ob ich eventuell etwas leiser jubeln könne, Theo, der Opernsänger in Suite Nummer 5, hätte gestern Premiere gehabt und müsse ausschlafen. Dann gratulierte er mir: „Hab ich dir doch gesagt, Wairoa klang gut. Der Typ war nicht bestechlich. Komm nach vorne, wir machen einen Sekt auf.“ Sebastian war ein Schatz. Eigentlich war er Schauspieler und sah auch so aus: groß, gut, immer strahlend. Da Engagements trotzdem rar waren, übernahm er alle möglichen Jobs, um etwas Geld zu verdienen, unter anderem hier im Hotel als Rezeptionist. Kein Wunder, dass er sich gut mit Rafael verstand.
    Die Nachteile des australischen Wohnungsmarktes hatte ich zur Genüge studiert. Jetzt waren endlich die Vorteile dran. Am besten gefiel mir die Geschwindigkeit. Kein mietender Mensch verbrachte

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