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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julica Jungehuelsing
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Schließlich entfernte ich mich mit jedem Schritt weiter vom Meer. Endlich stand ich vor der Kreuzung, die Rick mir aufgemalt hatte, die Hausnummer leuchtete golden poliert an einer dotterergelben Fassade. Ein schmaler Fußpfad entlang eines Holzzauns trennte das zweistöckige Haus von einem seltsamen Bau mit vergitterten Fenstern – einer Polizeiwache! Na ja, immerhin gut beschützt, und mit etwas Glück waren die helfenden Freunde ruhiger als eine Kneipe. Die Tür von Nummer 63 befand sich an der Seite des Hauses und war nicht abgeschlossen. Na bestens, hereinspaziert, mit dem Hüter des Gesetztes als Nachbarn ging das vermutlich in Ordnung. Ich ging zögernd ums Haus und landete in einem Minigarten mit Wäschespinne. Ohne Sofas leider, aber natürlich standen da ein Barbecue und die beliebtesten Plastiksessel der Welt in weiß. Auf der anderen Seite gab es einen zweiten Eingang mit einer Feuertreppe, die so kurios steil war, dass ich sie ausprobieren musste. Ich stieg den steilen Fluchtweg hoch und hörte Musik. Eine der vier Türen stand sperrangelweit offen. Aber ich konnte ja schlechtin fremde Wohnungen spazieren, bloß weil jemand, den ich kaum kannte, mir gesagt hatte, hier im Haus wohnte ein Mick. Oder doch? Durch die offene Tür sah ich zwei nackte Füße über eine Sofalehne ragen, es roch nach einer Mischung aus Zitronengras, Chili und Zigaretten. Meine Neugierde siegte. „Ähem, hi?“ Nichts rührte sich. Ich klopfte zaghaft an den Türrahmen. „Hello? Mick?“ Die Füße verschwanden vom Sofa. Kurz darauf kam mir ein Typ mit Brille und asiatischen Gesichtszügen durch den Flur entgegen. Mick sei arbeiten, ob wir verabredet seien. „Na ja, eigentlich nicht“, druckste ich. „Es ist eher so, dass ...“ Ach, jetzt war es eh egal. Ich stimmte eine hektische Rede an, in der Mülltonnen und „Mates“ vorkamen, Naomis Futon, Rick und Ramona, und klang vermutlich etwas stärker als nur normal verwirrt. Auf jeden Fall nutzte mein barfüßiges Gegenüber eine meiner Atempausen und sagte besänftigend: „Ich bin Lee, hi. Warum kommst du nicht einfach rein?“ Dazu nickte er aufmunternd. „Ich muss den Herd im Auge behalten. Kannst dir ja nebenbei die Wohnung angucken. Ist nur gerade etwas chaotisch.“
    Ich folgte Lee ins Innere der Wohnung, was in der Tat nicht so einfach war: Ein Gewirr aus Kisten und kaputten Boogieboards, Taucherflossen und Reisetaschen versperrte den Flur. Das Wohnzimmer füllten zwei monströse Dreisitzer, überquellende Regale, Hi-Fi-Geräte und Gitarren. Aha, hier wurde gepackt. „Nein, nein wir ziehen nicht aus“, schüttelte Lee den Kopf. „Nummer 7 schräg gegenüber ist frei. Sieht so aus wie diese. Ich meine: gleich geschnitten, sonst vermutlich ordentlicher. Ausnahmsweise lassen die Besitzer sie streichen, komplett, und verlegen neuen Teppichboden.“ Das klang gut.
    In Lees Apartment gab es außer einer heillosen Unordnung Fenster in zwei Himmelsrichtungen, Mülltonen waren nicht in Sicht. Die Küchenzeile war bescheiden, undentsprach damit meinen Fähigkeiten am Herd, das Bad hatte sogar eine Wanne. Ich begann zu träumen. Ja, die nehme ich. Unbesehen.
    Lee streckte mir eine Gabel aus seiner Wok-Pfanne entgegen: „Hähnchen-Bok-Choy. Frühstück und Abendessen“, sagte er in seiner etwas eigenwilligen Knapp-Satz-Sprache. Ich wusste nicht genau, ob die es mir leicht machen sollte oder ihm selbst. „Ich arbeite Nachtschicht. So kann ich mir die Wohnung mit Mick teilen. Wäre sonst zu klein.“ Ah, wir näherten uns behutsam wieder dem Thema. „Für mich wäre sie perfekt“, sagte ich eifrig, und ob er mir sagen könne, wer der Vermieter sei und was sie wohl koste. „Ah, you are German!“, lächelte Lee und streute eine Handvoll Pinienkerne über sein Abend- oder Morgenmenü. „Immer gleich ans Ziel, keine große Umschweife, stracks drauflos und zack, zack!“ Er kicherte immer noch. „Sag schon: Deutsche, stimmt’s? Oder aus der Schweiz?“ „Ersteres“, gab ich zu, und während Lee sich über seinen Treffer freute, fühlte ich mich irgendwie ertappt. Der Mann hatte ja recht: Konnte ich mir nicht die Zeit für einen kleinen Schwatz nehmen, ein höfliches Hin und Her, ein bisschen nettes Geplänkel? Nein, ich musste nicht nur in anderer Leute Privatsphäre platzen und insgeheim über ihre Unordnung die Nase rümpfen, ich legte auch noch die Dezenz einer Dampfwalze an den Tag. Und das während jemand gerade sehr freundlich zu mir war. „Sorry“, stammelte

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