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Ein Jahr in New York

Titel: Ein Jahr in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Sieger
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vorschnell, denkst du nicht?“ Ohne eine Sekunde zu zögern, antwortete er: „Das stimmt, aber warum sollten wir uns jetzt aus den Augen verlieren, wenn wir die Möglichkeit haben, uns noch heute Abend kennenzulernen?“ Überredet.
    Dann ging alles ganz schnell. Die Party war zuende. Und Paul und Frank waren etwas irritiert über Justin, ich auch. Noelle hingegen gab mir hinter seinem Rücken ein „Thumbs-up“. Wir fuhren zu mir, kochten Spaghetti, tranken Wein und ich bemerkte plötzlich ein Gefühl in der Magengegend, das vor vielen vielen Monaten das letzte Mal vorbeigeschaut hatte. Eine Nervosität, die ankündigte, dass ich ganz unvorhergesehen in meine erste transatlantische Dating-Romanze schlitterte.
    Am nächsten Morgen lag seine Nummer auf dem Küchentisch, und ich brach stur die erste Regel. Ich griff zum Hörer, statt auf seinen Anruf zu warten. Abends gingen wir zusammen essen. Bei dem Versuch, Regel Nummer zweizu brechen, lachte Justin mich aus und bestand darauf, die Rechnung zu bezahlen. Kurz bäumte sich in mir die Feministin auf. Dann vertagte ich meinen Vortrag über die Emanzipation der deutschen Frau auf später und konzentrierte mich auf den Augenblick. Er nahm meine Hand und ich fühlte mich plötzlich seltsam atemlos. Meine anfängliche Coolness löste sich in kleine, aufgeregt flatternde Schmetterlinge auf.

August
    G ANZ NEBENBEI schlich sich die große Hochsommerhitze an. Hatten gerade noch alle ihr komplettes Leben auf die Straße und die Parks verlagert, so zogen sich im August mehr und mehr New Yorker in die klimatisierten Innenräume zurück. Die so genannten „Dog Days“ hatten begonnen. Die Temperaturen klettern über die Dreißig-Grad-Grenze, und dort blieben sie auch. Tag und Nacht. Die karibische Schwüle hing wie eine Dunstglocke über der Stadt, durch die kein Lüftchen drang. Anfangs hatte ich die Klimaanlagen noch verflucht. Röhrend und spukend hingen sie aus allen Fenstern und kühlten jeden öffentlichen Raum bis auf Eisfachtemperaturen herunter. An die Energieverschwendung durfte ich gar nicht denken. Denn leider war ich selbst daran beteiligt. Mein Fenster im Büro war immer einen Spalt breit geöffnet, damit die ins Zimmer strömende Hitze mich davor bewahrte, am Schreibtisch zu erfrieren.
    Morgens stand ich mit meinem dünnen Sommerkleidchen schwitzend in der U-Bahn-Station. Hier herrschten den ganzen Monat nie weniger als vierzig Grad. Der Zug hielt an, ich stieg ein und hatte sofort eine Ganzkörpergänsehaut. Ich zog die Strickjacke über, die ich trotz dieser Affenhitze immer bei mir hatte. Beim Aussteigen schlug mir umgehend wie ein feuchter Lappen die heiße, schwere Luft entgegen. Im Büro war es dann wieder eiskalt. Ich wartete förmlich schon auf eine fiese Sommergrippe, die zwangsläufige Konsequenz dieser ständigen Heiß-Kalt-Kontraste.
    Meine vehementen Schimpftiraden auf die Energie fressenden „Air-Conditionings“ wurden jedoch von Tag zu Tag kleinlauter. Und verstummten schließlich ganz. Da Paulas Hausordnung europäischen Maßstäben folgte, waren Klimaanlagen tabu. Wir waren weit und breit das einzige Gebäude, in dessen Fenstern keine wuchtigen Kühlapparate surrten. Der rote Ziegelsteinbau erhitzte sich wie ein Backofen. Ich stieg morgens aus der Dusche, und das Abtrocknen war wortwörtlich überflüssig. Die Wassertropfen verdunsteten von selbst. Die Nächte wurden immer wärmer und wärmer. Die Luftfeuchtigkeit brach tropische Rekorde. Mein Ventilator im Fenster wirbelte nur noch heißen Wind durch die Gegend und war mittlerweile mehr Attrappe als nützlicher Gebrauchsgegenstand.
    „Da haben wir ja beide ziemliches Glück, dass wir wenigstens einige Nächte lang aus dieser Sauna flüchten können“, sagte Val, die seit Tagen nur noch in Unterwäsche und Tanktop durch die Wohnung lief. Ich hatte schon seit drei Wochen keine Jeanshose mehr getragen. Es war einfach zu heiß. Noch bevor man den Reisverschluss hochgezogen hatte, klebte die Hose schon am Bein. In diesen Tagen galt: Je weniger Körperbedeckung, desto besser.
    Valeries Glück war Davids klimatisierte Wohnung auf der Upper East Side, wo sie ganz selbstverständlich die meisten unerträglichen Augustnächte verbrachte. Mein Glück stand noch auf wackeligen Beinen: Justins Apartment im East Village, in dem ich nun schon ein paar Mal übernachtet hatte. Wir dateten. Ganz offiziell. Und exklusiv – davon ging ich aus. Schon am ersten Abend hatte ich mehrmals erwähnt, dass eine

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