Ein Jahr in New York
mir eine Kollegin.
In New York waren Friseure nicht einfach Menschen, die einem die Spitzen stutzten und zuhörten, wenn man sich über Spliss und das Wetter beklagte. Nein, in New York war Haareschneiden ein hoch angesehenes Handwerk, die Friseure begehrte Starcoiffeure. Für ihre magischen Schnitte wurden Summen bezahlt, die meine Monatsmiete toppten. Kein Witz. Bis zu 800 Dollar blätterte man in New York für einen Haarschnitt hin. Denn ein Termin bei einem der angesagten Hairstylisten war ein Statussymbol. In der HighSociety New Yorks mindestens genauso wichtig wie die neueste „It-Bag“ am Arm. Natürlich klebte an der perfekten Frisur kein Etikett mit dem Namen des Designers. Aber da man in Amerika für jeden neuen Haarschnitt ganz gewiss mit Komplimenten überschüttet wurde, hatte man in jedem Fall die Gelegenheit, ganz beiläufig zu erwähnen, dass man diese schicke Frisur Sally Hershberger zu verdanken hatte. Du weißt schon, die, zu der auch Sarah Jessica Parker, die Olsen Sisters und Michelle Pfeiffer gehen. Und sofort hatte jeder verstanden: Es handelte sich um einen dieser prominenten Haar-Gurus, denen die Filmstars aus Hollywood vertrauten. Von diesem Glamour abzustauben ist eben nicht billig.
Außerdem lieben New Yorker Exklusivität und Privilegien. Was sich nicht jeder leisten kann, ist umso erstrebenswerter.
In dieser Stadt ist es nichts Ungewöhnliches, Rod Stewart für eine Geburtstagsparty zu engagieren. Oder für 6000 Dollar mit dem Helikopter, über die Staus auf der Autobahn hinweg, in die Hamptons zu fliegen. Auch, dass man die edle Feuchtigkeitscreme „Crème de la Mer“ im 1350-Dollar-Tiegel kaufen konnte, erschien den New Yorkern nicht weiter sonderbar.
Ich konnte mir einen First-Class-Haarschnitt weder leisten, noch hätte sich diese Investition gelohnt. Schon seit Jahren bändigte ich mein störrisches Haar mit einem Gummi. Ich trug immer einen Zopf. Selbst nachts. Andere Menschen hatten Frisuren, ich hatte einfach nur Haare.
Natürlich saß ich trotzdem jedes Mal mit der Hoffnung vorm Spiegel, dass ich den Salon mit einer „schnittigen“ Frisur verlassen würde. Aber kaum hatte ich bezahlt, war das Zopfband wieder drin und die Stylingprodukte, die ichmir jedes Mal aufschwatzen lies, verstaubten im Badezimmer.
New York belebte meine Hoffnung. Eine Stadt, in der man die Erhaltung der gottgegebenen Schönheit perfektioniert hatte. In der Frauen sich in der Mittagspause mit dem Nervengift Botox die Falten wegspritzen, in der Sauerstoffkammern verjüngen und die Pedi- und Maniküre zur wöchentlichen Routine gehören. Schönheit ist hier ein Alltagsgeschäft. Und eine Investition. In die Karriere. Potentielle Ehen. Und ein glückliches Leben. Angeblich.
Also machte ich einen Termin bei „Bumble & Bumble“. 125 Dollar sollte der Haarschnitt kosten. Der Latte war umsonst. Der Ausblick auch.
Ich wartete in einem riesigen Loft, saß in der Lounge am Fenster und starrte über den Hudson River Richtung New Jersey. Um mich herum waren wie in einem Boutiquehotel dezent Designermöbel und schöne Menschen mit akkuraten Schnitten platziert. Allein hier zu sitzen fühlte sich wie ein Privileg an. Dann war ich an der Reihe.
Meine Haarwünsche waren wie immer sehr unkonkret.
„Ja, also, ich hätte gerne mal so einen richtigen Schnitt. Aber nicht zu kurz. Ich muss auf jeden Fall noch einen Zopf machen können. Am besten wäre ein Schnitt, den man morgens nicht stylen muss. Und schon gar nicht föhnen. Am besten eine Frisur, die einfach so liegt, wenn man morgens aufsteht.“ Wie ich wusste: eine „Mission Impossible“. Meine Stylistin nickte trotzdem verständnisvoll, stellte ein, zwei Fragen. Wir diskutierten mein Haar, als wenn es sich um eine wichtige ärztliche Diagnose handeln würde.
Sie fing entschlossen an zu schneiden. Ein Hoffnungsschimmer. Vielleicht gab es doch eine Frisur für mich und ein Leben ohne Haargummis?
Ich versuchte, den kleinen Spiegel rechts zu ignorieren und weiterhin aus dem Fenster in die weite Ferne bis zur Freiheitsstatue zu starren. Aber als der Föhn zum Einsatz kam, konnte ich meine Augen nicht mehr vom Spiegel lassen und beobachtete, wie ich mir Strähne für Strähne fremder wurde. Ich hatte extra betont, dass ich zuhause nicht mal einen Föhn besaß. Sie hatte nur gegrinst, genickt und einfach weitergeföhnt. Als sie fertig war, sah ich aus wie eine amerikanische Talkshow-Moderatorin.
Oder wie die geföhnten Frauen, denen ich letzte Woche auf
Weitere Kostenlose Bücher