Ein Jahr in New York
dritte Person in unserer Dating-Konstellation, auf welcher Seite auch immer, für mich das sofortige Aus bedeuten würde. Die Grenze meiner Integrationsbereitschaft war an diesem Punkt erreicht. „Sure thing“,lachte er zurück, drückte mir einen seiner Pfefferminzküsse auf die Lippen, und ich sah, dass ihm dabei etwas durch den Kopf schwirrte. In einer Sprache, die ich nicht verstand. Vielleicht hatte er Angst, dass eine deutsche Emanze sich in sein amerikanisches Leben verhaken wollte? Oder war mein Absolutismus für den Anfang einfach etwas zu stürmisch? Egal. Ich ließ es drauf ankommen.
„Da hast du dir auf jeden Fall den perfekten Zeitpunkt zum Daten ausgesucht. Wir sind mit Sicherheit die beiden letzten New Yorker in dieser Stadt ohne Klimaanlage“, seufzte Valerie und fächelte sich mit einem Magazin ein wenig Wind zu. „Justin hat doch eine in seiner Wohnung, oder?“ Ja, die hatte er. Dank dieser konnte ich seit langem mal wieder ganz regulär mit einem Laken schlafen. Die Nächte davor hatte ich die nicht vorhandene Klimaanlage durch ein nasses Handtuch ersetzt. „Ich bin übrigens die ganze nächste Woche weg. David hat mich in die Hamptons eingeladen“.
„Hast du’s gut. Eine Abkühlung am Meer wäre jetzt genau das Richtige“, schwärmte ich sehnsüchtig. „Hat David etwa ein Haus dort?“ – „Nee, leider nicht, aber ein Freund von ihm. Komm doch einfach am Wochenende vorbei, wenn du Lust hast. Wenigstens für einen Tag“, schlug Val vor. Das ließ ich mir nicht zweimal anbieten.
Im August entleerte sich die Stadt. Das Open-Air-Sommerprogramm versuchte, die auf der Insel gestrandeten New Yorker weiterhin bei Laune zu halten. Aber jeder, der konnte, verließ die siedende Betonwüste, die angefangen hatte, unangenehme Gerüche auszudünsten, denen man nicht entweichen konnte. Kurzum: Es stank. Eine regelrechte Stadtflucht setzte ein. Besonders an den Wochenenden. Und mit Vorliebe ans Meer. Selbst unsereeuropäische Landlady war verschwunden. Nach Griechenland, wo sie noch ein Haus besaß und grundsätzlich ihre Sommer verbrachte. Statt „Locals“ sah man dieser Tage ahnungslose Touristen schwitzend durch die Straßen irren. Die hatten offensichtlich keine Ahnung gehabt, worauf sie sich einließen, als sie sich daheim auf die günstigen Flüge stürzten, mit denen man versuchte, hier das Sommerloch zu stopfen.
Beliebtestes Sommerziel der New Yorker waren die Hamptons, der berüchtigte Nobelbadeort auf der schlanken Insel Long Island, östlich von Manhattan. Die Schönen, Reichen und Berühmten hatten das Ostende der Inselzunge für sich entdeckt und dort ihre Sechs-Schlafzimmer-Villen entlang der weißen Sandstrände errichtet. Hatten hier früher hauptsächlich Fischer und Kartoffelbauern gelebt, haben mittlerweile Promis wie Puff Daddy, Steven Spielberg, Gwyneth Paltrow und die wohlhabende Elite New Yorks die Hamptons mit ihren schicken Sommerhäusern und vielen Champagnerpartys in eine Kolonie der Superreichen verwandelt.
Die Normalreichen, die sich die Millionen-Dollar-Mac-Mansions nicht leisten können, aber trotzdem Teil der Schickeria sein wollen, reißen sich jedes Jahr wieder um die „Summer Shares“. Wochenendhäuser, mit riesigen Gärten, Schwimmbecken und Whirlpool, die man sich mit Fremden oder Freunden teilte und für die man locker 50 000 Dollar pro Saison hinblättert. Denn insgeheim träumt jeder New Yorker von einem Haus in den Hamptons.
Auch berühmte Künstler haben sich schon seit Jahrzehnten von der Schönheit der Hamptons verführen lassen, von dem einzigartig klaren Licht und den satten Farben. Chuck Close arbeitet in Bridgehampton an seinenfotorealistischen Werken, der Niederländer Willem de Kooning besaß hier ein Haus, und der bekannte amerikanische Maler Jackson Pollock lebte, malte und starb in East Hampton. In einem bescheidenen Cottage wohnte er mit seiner Frau Lee Krasner und malte in einer zum Studio umgebauten Scheune, in der noch heute die Spuren seiner ikonischen Klecksbilder zu sehen sind. Das Anwesen kann man mittlerweile sogar besichtigen.
Ich reiste als bescheidener Tagesausflügler mit dem Bus an. Dem unterkühlten, auffällig sauberen „Hampton Jitney“. Der Name des schicken Transportunternehmens hat sich als Synonym für den Luxus-Lifestyle der privilegierten New Yorker bewährt, spätestens seit die „Sex and the City“-Hauptdarstellerin Carrie Bradshaw mit ihren Girls in einer Episode mit dem Jitney in die Hamptons gereist
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