Ein kalter Strom
Gott sei Dank stand er nicht vor der Einfahrt. Mit gesenktem Kopf verließ er Margarethe Schillings Haus und eilte zum Auto.
Seine Hände am Steuer waren schweißnass und glatt und seine Finger kribbelig und zittrig. Schweiß rann ihm an den Schläfen herab und ins Haar. Er musste sich zurückhalten, in den stillen Vorstadtstraßen nicht zu schnell zu fahren. In seinem Kopf hörte er immer wieder das schreckliche Geräusch der sich öffnenden Tür, und jedes Mal verkrampfte sich sein Herz von neuem vor Panik. Die Angst fing an, sich in seinem Inneren einzunisten, und er kämpfte stöhnend dagegen an. Bevor er spürte, dass er wieder regelmäßig atmete, war er schon auf der Straße zum Hafen. Seit er seinen Feldzug begonnen hatte, war er zum ersten Mal direkt auf die Gefahren gestoßen, die es auf dem eingeschlagenen Weg gab. Und das mochte er ganz und gar nicht.
Aber es war kein Grund einzuhalten, sagte er sich. Jetzt musste er vor allem vermeiden, dauernd an die panische Angst zu denken. Er brauchte eine Frau. Als er an einigen Bars vorbeikam, deren matte Lichter in der Nacht gelb schimmerten, hielt er an. Hier würde er finden, was er suchte. Er würde sich irgendeine Schlampe nehmen und es ihr besorgen, bis es Morgen würde.
Fallbericht
Name: Margarethe Schilling
Sitzung Nummer: 1
Bemerkungen: Die Patientin hat einen Gotteskomplex. Sie glaubt, dass sie das göttliche Recht besitzt, den gerechten Glauben anderer zu zerstören, um ihr eigenes Ansehen zu fördern. Sie hat keinerlei Sinn für das Angemessene.
Ihr Wertesystem ist hoffnungslos verzerrt durch ihren irrigen Glauben an ihre eigene Unfehlbarkeit. Aber trotzdem versucht sie, ihre Weltsicht anderen aufzuzwingen, und weist die Möglichkeit, Unrecht zu haben, weit von sich.
Offensichtlich überkompensiert sie unerkannte Minderwertigkeitsgefühle. Wie viele beruflich selbständige Frauen erkennt sie ihre ureigenen Schwächen im Vergleich zu den Männern nicht an und reagiert darauf, indem sie sie mental kastriert.
Therapeutische Maßnahmen: Behandlung zwecks Zustandsveränderung eingeleitet.
Kapitel 18
T adeusz ging über das Trottoir auf den schwarzen Mercedes zu und setzte sich auf den Rücksitz. Hätten ihn irgendwelche Nachbarn gesehen, dann hätten sie sich vielleicht über seinen Anblick gewundert. Statt seiner üblichen tadellosen, exklusiven Kleidung trug er eine alte Hose aus Englischleder, abgetragene Stiefel und einen ausrangierten Armeeparka über einem dicken Norwegerpullover. Aber man trug keinen Armani-Anzug, wenn man einen Nachmittag lang in unwegsamem Gelände Vögel schießen wollte, und genau das war es, was er vorhatte.
Darko Krasic saß zurückgelehnt auf der anderen Seite des Rücksitzes. Er trug eine rissige Lederweste über einem wattierten, karierten Hemd, dessen Zipfel über seine alte, auf den Oberschenkeln schon ganz abgewetzte Cordhose herunterhingen. »Ein guter Tag dafür«, sagte er.
»Hoffentlich. Ich hab Lust, jemanden abzuknallen, nach dessen Verschwinden die Welt besser dran ist«, sagte Tadeusz. Er klang angeekelt wie jemand, der in eine Frucht gebissen hat und entdeckt, dass sie innen faul ist. Apathie und Zynismus hatten sich seit Katerinas Tod abgewechselt. Alles, was er jetzt tat, war ein Versuch, sich aus diesen lähmenden Emotionen zu lösen, und bis jetzt hatte nichts geholfen. Er war nicht überzeugt, dass dieser Nachmittag eine Änderung bringen würde. »Und da uns keine Verkehrspolizisten zur Verfügung stehen«, machte er einen matten Versuch, zu scherzen, »werde ich mich wohl mit irgendeiner kleinen, wehrlosen Beute zufrieden geben müssen. Etwas mit Fell oder Federn. Hast du die Gewehre dabei?«
»Sie sind im Kofferraum. Wo fahren wir hin?«
»Zu einem schönen Waldstück am Rand der Schorfheide. Das ist das Tolle an Naturschutzgebieten. Die Viecher wissen nicht, wo die Grenze verläuft. Ein alter Freund von mir hat ein Stück Land genau neben einem geschützten Gebiet. Und die Enten vom Feuchtgebiet fliegen ahnungslos über sein Waldstück. Wir dürften schon ein paar nette Sachen mitnehmen. Er leiht uns zwei von seinen Jagdhunden, damit wir’s richtig machen können.« Tadeusz griff in seine Jacke und zog eine flache, blanke Flasche aus Zinn heraus. Er schraubte den Deckel ab, nahm einen Schluck Cognac und hielt sie Krasic hin. »Willst du auch einen?«
»Du weißt ja, ich hab immer lieber ’n klaren Kopf beim Hantieren mit Schusswaffen.«
»Apropos klarer Kopf und
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