Ein kalter Strom
ihren linken Knöchel an das Tischbein zu binden, als ihn das grelle Klingeln an der Tür hochfahren ließ und ihm vor Schreck die Schnur aus der Hand fiel. Sein Herz raste, und er spürte, wie die panische Erregung ihm wie ein Kloß in der Kehle saß. Jemand war da, nur zwanzig Meter entfernt von ihm. Jemand, der erwartete, dass Margarethe Schilling die Tür öffnete. Sie konnte es nicht geplant haben, sagte er sich. Sie wusste, dass er kam, und hatte also niemanden eingeladen. Es musste jemand sein wie die Zeugen Jehovas oder ein Hausierer, versuchte er sich zu beruhigen. Entweder das oder einer der Nachbarn, der Schillings Auto in der Einfahrt gesehen hatte und deshalb erwartete, dass sie zu Hause war. So musste es doch sein, oder?
Es klingelte wieder, diesmal länger. Er wusste nicht, was tun, und trat vom Tisch zurück, wo Margarethe mit ausgestreckten Gliedmaßen und noch ganz angezogen lag. Was, wenn der Besucher so hartnäckig war, um das Haus herum zur Hinterseite zu kommen? Er brauchte nur einen Blick in die hell erleuchteten Küchenfenster zu werfen. Hastig suchte er nach dem Lichtschalter. Gerade als seine Finger ihn berührten, hörte er ein Geräusch, das ihn noch mehr erstarren ließ als die Türglocke. Das unmissverständliche Klicken eines Schlüssels im Schloss.
Er stand unbeweglich mit trockenem Mund und überlegte, wie er entkommen konnte. Die Haustür ging auf, und eine Männerstimme rief: »Margarethe?« Die Tür schloss sich, dann kamen Schritte auf die Küche zu. »Ich bin’s«, hörte er.
Er packte eine schwere gusseiserne Pfanne vom Herd und drückte sich flach gegen die Wand neben der Tür. Sie öffnete sich, und der Schatten eines großen Mannes erschien auf der Schwelle. Von draußen kam genug Licht, dass der Umriss von Margarethes Körper auf dem Tisch zu erkennen war. »Margarethe?«, sagte der Mann wieder und hob die Hand zum Lichtschalter.
Die Pfanne krachte auf seinen Hinterkopf hinunter, und der Mann ging in die Knie wie ein niedergestreckter Stier. Sein Oberkörper schwankte einen Moment, dann sackte er zusammen und landete mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden.
Mit lautem Klappern ließ er die Pfanne fallen und schaltete das Licht wieder an. Der Eindringling lag ausgestreckt auf dem Boden, ein Rinnsal Blut kam aus der Nase. Es war ihm egal, ob er tot oder bewusstlos war, solange ihm genug Zeit blieb, das zu Ende zu bringen, was er angefangen hatte. Er trat ihm wütend in die Rippen. Scheißkerl. Wofür hielt er sich eigentlich, dass er einfach so hereinstürmte?
Jetzt beeilte er sich, zu seiner Aufgabe zurückzukehren. Er brachte das Anbinden zu Ende und riss der Frau dann hastig das Klebeband vom Mund. Wiederholt musste er nachsehen, ob der Mann noch bewusstlos war, was ihn noch mehr Zeit kostete. Er machte sich nicht die Mühe, dem Weib zu erklären, warum er an ihr ein Exempel statuierte. Sie hatte seine gewohnte Prozedur gestört und ihm die Freude an seiner guten Arbeit verdorben, sie verdiente nicht zu wissen, dass es einen triftigen Grund für das gab, was mit ihr geschah.
Es machte ihn wütender, als er es für möglich gehalten hatte, dass er sich jetzt beeilen musste. Es gelang ihm, das Hautabziehen ziemlich gut hinzukriegen, aber er arbeitete nicht so exakt, wie er es sich gewünscht hätte. Unter heftigem Fluchen, schließlich war er Schiffer, beendete er die Arbeit in der Küche, wischte jede Oberfläche ab, die er möglicherweise berührt haben konnte, und gab im Vorbeigehen dem Fremden obendrein noch einen brutalen Tritt in die Nieren.
Jetzt musste er nur noch den Hefter unterbringen. Er rannte nach oben und ging, ohne Licht einzuschalten, durch die Zimmer, damit er nicht noch mehr auf sich aufmerksam machte. Der erste Raum mit einem großen Bett und einer ganzen Wand eingebauter Kleiderschränke war eindeutig ihr Schlafzimmer. Der zweite sah nach dem Zimmer eines Kindes aus, mit Fußballer-Postern von Werder Bremen und einer Playstation auf dem Tisch am Fenster.
Das hintere Zimmer war das, was er suchte, es war als Büro eingerichtet. Er zog die Schublade des altmodischen Aktenschranks auf und steckte den Hefter hinein. Es war ihm inzwischen schon egal, ob es die richtige Stelle war. Er wollte nur fertig sein und raus, bevor alles noch schlimmer wurde.
Ein letzter Blick auf den Fremden zeigte, dass er immer noch bewusstlos war, dann öffnete er vorsichtig die Haustür einen Spalt. Nichts regte sich. Er sah, dass ein VW Passat vor dem Haus parkte, aber
Weitere Kostenlose Bücher