Ein kalter Strom
musste er so tun, als gehe alles seinen Gang. »Ich werde heute Abend mit jemand reden«, versprach er.
»Gut. Ich habe die Probleme satt. Zur Abwechslung hätte ich gerne mal Lösungen. Tu, was immer dazu nötig ist.« Er lehnte sich gegen das weiche Leder zurück und schloss zum Zeichen, dass die Unterhaltung beendet sei, die Augen. Es lag ihm nicht, den starken Mann zu markieren, aber seit Katerinas Tod fand er sich beklagenswert oft in dieser Rolle. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass der Rest seines Lebens so verlaufen würde, nichts als eine ständige Abfolge von Krisen und Problemen. Es war, als hätte ihr Tod seinem Leben alle Leichtigkeit genommen, und er fragte sich, ob er sich in seiner Haut je wieder entspannt und wohl fühlen könnte. Vielleicht würde ihm Rache helfen.
Sie war das Einzige, was ihm als mögliche Abhilfe einfiel.
Es war Petra Beckers erster Besuch in Den Haag, und sie war überrascht, dass die Stadt im Vergleich zu Amsterdam so wenig spektakulär war. Die Häuser an den Kanälen waren Muster spröder klassischer Gesetztheit, denen die reichen Ornamente fast ganz fehlten, die einen Spaziergang durch Amsterdam zu einem Fest fürs Auge werden ließen. Dies war eine Spesenstadt ohne die bohemehafte Farbigkeit, die Amsterdam so abwechslungsreich machte. Hier herrschte eine Atmosphäre gelassenen Wohlstands, Ausdruck einer steifen Wohlerzogenheit, die auf Petras Berliner Seele bedrückend wirkte. Sie war noch keinen Tag hier und sehnte sich schon nach etwas weniger Spießigem.
Sie wusste nicht genau, wie sie dem kommenden Tag entgegensehen sollte. Um elf würde sie die britische Polizeibeamtin treffen. Carol Jordan, ein Detective Chief Inspector, was immer das bedeuten mochte. Petra sollte ihr alles über Tadeusz Radecki berichten, und das fiel ihr schwer. Sie fand es unfair, dass sie ihre mühsam erworbenen Erkenntnisse einfach so an jemanden weitergeben sollte, der sich nicht durch Verdienste in diesem Fall ausgezeichnet hatte. Als Hanna Plesch sie informierte, ihre neue Rolle sei die einer Verbindungsperson für die Agentin eines anderen Polizeidienstes, fühlte sie sich übervorteilt. Natürlich war ihr Gesicht in Berlin zu bekannt, als dass sie selbst diese Agentin hätte sein können, aber es ärgerte sie, dass ihre Vorgesetzten sich zur Seite drängen ließen und den ganzen Fall den Briten überlassen hatten. Was wussten die vom organisierten Verbrechen in Deutschland? Wofür hielten sie sich eigentlich, dass sie sich einfach in ein fremdes Gebiet hineindrängten? Und wieso glaubten sie, da Erfolg haben zu können, wo ihre eigene Abteilung es nicht geschafft hatte?
Plesch hatte ihr diese Reaktion angesehen, obwohl sie sich anstrengte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie hatte Petra gesagt, sie hätte nur zwei Möglichkeiten. Sie könne entweder mit Jordan zusammenarbeiten oder sich von der ganzen Untersuchung in Sachen Radecki fern halten. Zögernd hatte Petra den Auftrag angenommen, was aber nicht hieß, dass sie über die Sache erfreut sein musste.
Sie tröstete sich mit dem Wissen, dass die Festnahme von der deutschen Polizei durchgeführt werden müsste. Die Briten würden ihn nicht strafrechtlich verfolgen. Am Ende der Operation, wenn sie Radecki gefasst hatten, würde Carol Jordan längst von der Bildfläche verschwunden sein, und sie, Petra Becker, würde diejenige sein, an die man sich erinnern würde, da sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hatte, dass man Radecki bei seinen einträglichen Geschäften schließlich doch auf die Schliche gekommen war.
Sie fand ein Café, holte sich Kaffee und zwei warme Brötchen, trug sie zu einem Tisch am Fenster hinüber, zog einen dünnen Hefter aus ihrer abgetragenen Ledermappe und begann zu lesen.
Detective Chief Inspector Carol Jordan hatte ihr Studium an der Universität von Manchester abgeschlossen und war sofort danach in die Metropolitan Police eingetreten. Sie wurde schnell befördert und hatte den Rang eines Detective Sergeant in der kürzesten Zeit erreicht, die möglich war. Sie hatte bei der Kripo gearbeitet und war auch einige Zeit in der Spezialabteilung gewesen, die sich mit Verbrechen wie Mord und anderen schweren Delikten befasste. Als sie ihr Inspektorexamen bestanden hatte, verließ sie die Met und ging in den Norden, in die Industriestadt Bradfield. Dort hatte ihre Karriere wohl einen echten Sprung getan.
DI Jordan fungierte bei einer Mordserie in Bradfield als Verbindungsbeamtin zu Dr. Tony
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