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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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eigener Aussage ein früherer Hacker, hatte ihm sogar gezeigt, wie man E-Mails verschicken konnte, in die eine logische Bombe integriert war, damit die Mail sich nach einer vorher festgelegten Zeit im Zielcomputer automatisch löschen würde. So könnte also selbst dieser potentielle Überrest eines Beweises verschwinden.
    Heute Abend würde Dr. Margarethe Schilling für ihre Grausamkeit und Eitelkeit büßen. Er überflog die Wegbeschreibung, die sie ihm gegeben hatte, und genoss die Ironie, dass sie so willig zu ihrem eigenen Untergang beitrug. Dann fuhr er los.
    Die Straße, in der sie wohnte, lag am Stadtrand, wo kümmerliche Ausläufer der ländlichen Umgebung noch bis in die Straßen reichten und nur eine einsame Baumgruppe und verkommene Grasflächen an das erinnerten, was früher hier einmal gewesen war. Diese letzten Überreste freier Natur lagen unerschlossen zwischen bebauten Gebieten und gaben den Hausbesitzern die Illusion, auf dem Land zu wohnen. Sie konnten in der Dämmerung auf den Wald hinausschauen, sich dabei als Herr über alles fühlen, was vor ihnen lag, und sich so darüber hinwegtäuschen, dass ihre Häuser nur hässliche Klötze mit je zwei Wohn- und drei Schlafzimmern, anderthalb Bädern und einer Einbauküche waren. Das wiederholte sich die ganze Straße entlang wie nach einem grotesken, geklonten Bauplan. Er begriff nicht, was daran attraktiv sein sollte. Er hätte lieber in einer winzigen Wohnung mitten in der Stadt gewohnt, als neben der Geräumigkeit auf diese Weise die Hässlichkeit zu vervielfältigen. Noch besser war es, eine Kajüte auf einem Schiff zu haben, eine mobile Welt, die mit einem mitreiste und einem jeden Tag eine andere Aussicht bescherte.
    Langsam fuhr er die Straße entlang, im diesigen Nieselregen mit eingeschalteten Scheinwerfern, und sah nach den Hausnummern. Nichts unterschied Margarethe Schillings Haus von denen ihrer Nachbarn. Obwohl die Farben der Türen und die Stoffmuster der Stores unterschiedlich waren, verschmolz alles irgendwie zu einem formlosen Einerlei. Ihr Auto stand vor der Garage, bemerkte er. Er fragte sich, ob sein eigener Wagen zu sehr auffallen würde, wenn er ihn auf der Straße parkte, während alle anderen Fahrzeuge in Garagen oder Einfahrten standen. Hinter dem älteren Audi war noch Platz für seinen Golf, so beschloss er, ihn dort abzustellen.
    Mit einer Tüte in der Hand ging er auf die Haustür zu und hoffte, dass die Leute hier im Vorort zu sehr mit den eigenen Dingen zu tun hatten, um ihn zu bemerken. Nicht etwa, dass sie sich an jemand so Belanglosen erinnern würden. An ihm war ja nur sein Inneres bemerkenswert. Er klingelte an der Tür und wartete. Die Tür ging auf und ließ eine Frau mittlerer Statur sehen.
Nicht zu schwer zum Hochheben
, dachte er zufrieden. Ihr blondes, schon ergrauendes Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, das Gesicht wirkte müde und abgehärmt. Die Mascara war etwas verschmiert, als hätte sie sich gedankenlos die Augen gerieben. Sie trug eine maßgeschneiderte, anthrazitfarbene Hose und einen kastanienbraunen Chenillepullover, der ihre Figur verbarg. »Herr Hohenstein?«, sagte sie.
    Er neigte den Kopf. »Dr. Schilling, ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen.«
    Sie trat zurück und ließ ihn mit einer einladenden Handbewegung eintreten. »Hier geradeaus«, sagte sie. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn wir uns in der Küche unterhalten, aber das ist der gemütlichste Raum im Haus.«
    Er hatte gehofft, dass sie ins Arbeitszimmer gehen würden. Aber als sie in die Küche kamen, sah er, dass sie für seinen Zweck ideal war. Ein zerkratzter Tisch aus Kiefernholz stand mitten im Raum, an perfekter Stelle für die Zeremonie, die bevorstand. Später würde er das Arbeitszimmer ausfindig machen und seine Visitenkarte in ihren Unterlagen hinterlassen. Fürs Erste würde jedoch die Küche genügen.
    Er wandte sich zu Margarethe um und sagte lächelnd: »Es ist sehr gemütlich hier.«
    »Ich bin meistens hier drin«, sagte sie und ging an ihm vorbei zum Herd. »Also, was möchten Sie trinken? Tee, Kaffee? Oder etwas Kräftigeres?«
    Er maß die Abstände mit dem Blick. Der Kühlschrank war am günstigsten. »Ein Bier wäre gut«, sagte er, weil er wusste, dass sie ihm dann den Rücken zudrehen musste.
    Und so fing alles wieder an. Hände und Hirn funktionierten in reibungsloser Folge und hielten sich ohne Zögern oder Stocken an einen eingeübten Ablauf. Er beugte sich gerade hinunter, um

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