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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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würde er immer noch Geschlechtsverkehr haben können, denn es war ja nicht der Mord, der ihn in Fahrt brachte. Er war nicht anormal, sondern einfach ein Mann mit einer Aufgabe. Die Tat selbst brachte ihm keinen Genuss, es ging ihm nur um das, wofür sie stand. Freude empfand er, wenn er mit der
Wilhelmina Rosen
auf dem Wasser war. Sein eigentliches Leben war die Arbeit, sonst nichts. Das Schiff gab ihm Befriedigung.
    Sie waren pünktlich an ihrem Zielort angekommen und erreichten den Kai an der Weser so früh, dass sie genug Zeit hatten, um die Fracht am Nachmittag noch zu löschen. Die nächste Ladung würden sie erst am folgenden Morgen aufnehmen. Alles lief genau nach Plan. Sie hatten die
Wilhelmina Rosen
zu dem Schienenkopf gebracht, wo sie sie mit Kohle beladen sollten, und jetzt gab er das Kommando an Gunther ab, damit er seine persönlichen Angelegenheiten an Land erledigen konnte.
    Er ließ den Wagen behutsam auf die Kaistraße hinunter, lockerte die Greifer und sagte zu Gunther: »Ich fahre jetzt.«
    »Hast du was Interessantes vor?«, fragte Gunther und sah nicht einmal von seinem Taschenbuch mit den Eselsohren auf.
    »Ich muss mit ein paar Schiffsagenten reden. Ein bisschen mehr Arbeit hier oben wäre mir recht.«
    Gunther brummte unverbindlich: »Wir kommen dieser Tage nicht oft genug nach Hause.«
    »Was gibt es in Hamburg so Besonderes? Du bist geschieden und siehst deine Kinder nie, selbst wenn wir im Hafen liegen.«
    Gunther blickte von seinem Buch auf. »Meine Kumpel sind in Hamburg.«
    »Du hast doch überall Kumpel«, sagte er und ging über die Brücke davon. Er wollte Gunther nicht verlieren, aber einen neuen Mann zu finden war nicht das Schwierigste auf der Welt. Wenn Gunther die Routen nicht mochte, die seine Mission ihnen vorschrieb, brauchte er nicht zu bleiben. Natürlich gab es nicht mehr viele gute Jobs auf den Schiffen, und eigentlich glaubte er nicht, dass er sich bald nach einem Ersatz würde umsehen müssen. Aber er wünschte, Gunther hätte nicht gerade jetzt von Hamburg angefangen. Seine Äußerung glich zu sehr einem Haken, der ihn in die Vergangenheit zurückziehen wollte, wo es ihm doch so wichtig war, sich vorwärts in die Zukunft zu bewegen.
    Jetzt lag diese Zukunft hier in Bremen, ein paar Kilometer entfernt. Er hatte sich eine gute Geschichte ausgedacht, das musste er zugeben. Er hatte lange und intensiv daran gearbeitet. Zuerst hatte er daran gedacht, sich als Kollege zu präsentieren, erkannte dann aber, dass man ihm zu leicht auf die Schliche kommen würde. Akademiker trafen sich oft bei Konferenzen und Kongressen. Das Risiko war zu hoch, dass das Opfer die Person tatsächlich kannte, als die er sich ausgab. Und heutzutage, wo die Kommunikation mit E-Mail so leicht war, würde eine Überprüfung zu einfach sein. Aber was sonst würde sie dazu bewegen, auf seinen Wunsch nach einem Treffen einzugehen?
    Eitelkeit, das war der Schlüssel. Sie sprachen alle furchtbar gern über sich selbst und ihre Arbeit. Sie waren total von sich eingenommen und glaubten fest, alles am besten zu wissen. Wie konnte er sich das zunutze machen?
    Die Antwort lag in den neuen Technologien. Es war leicht, sich dort hinter einer Maske zu verstecken. Sie hatten natürlich sowieso schon einen Computer an Bord. Heutzutage kamen viele ihrer Lieferaufträge und Fahrtanweisungen auf diesem Weg. Es faszinierte ihn, wie viele Möglichkeiten die Technologie ihm zur Unterstützung seiner Mission eröffnete. Er hatte also die Jungs nach Hamburg geschickt, das Schiff eine Woche im Hafen liegen lassen, hatte sich einen Laptop gekauft und einen Intensivkurs für das Surfen im Internet und das Entwerfen von Internetseiten gemacht. Er hatte den Domainnamen psychodialogue.com eintragen lassen und schuf eine Website, die das Erscheinen von
PsychoDialogue
ankündigte, einer neuen elektronischen Fachzeitschrift, die der Verbreitung aktuellen Gedankenguts auf dem Gebiet der experimentellen Psychologie diente. Er glaubte, dass er sich bei seinen eigenen Nachforschungen über die Opfer genug Fachterminologie angeeignet hatte, um dem Ganzen einen echt aussehenden Anstrich geben zu können.
    Dann ließ er Geschäftskarten drucken, auf denen er sich als Hans Hohenstein, Chefredakteur von
PsychoDialogue
, auswies. Er hatte E-Mails an seine Opfer geschickt, um Termine zu vereinbaren, bei denen sie über ihre Arbeit sprechen sollten, und der Rest hatte sich wie von selbst ergeben. Einer der Dozenten beim Computerkurs, nach

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